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Wählbarkeit von Personalgruppen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen und grundsätzlicher Überprüfung der Ausnahmekriterien, welche im Unvereinbarkeitsgesetz vom 29. November 1983 festgelegt sind, mit dem Ziel, weiteren Gruppierungen im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis das passive Wahlrecht zu ermöglichen

12. September 2017

Marianne Binder-Keller, CVP, Baden (Sprecherin), Maja Bally Frehner, BDP, Hendschiken, Manfred Dubach, SP, Zofingen, Ruth Müri, Grüne, Baden, Dominik Peter, GLP, Bremgarten, und Therese Dietiker, EVP, Aarau, vom 12. September 2017 betreffend Wählbarkeit von Personalgruppen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen und grundsätzlicher Überprüfung der Ausnahmekriterien, welche im Unvereinbarkeitsgesetz vom 29. November 1983 festgelegt sind, mit dem Ziel, weiteren Gruppierungen im öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis das passive Wahlrecht zu ermöglichen

Text:
Die Verweigerung des passiven Wahlrechtes bildet einen wesentlichen Eingriff in die politischen Rechte. Wir ersuchen den Regierungsrat um eine grundlegende Überprüfung der Wählbarkeit von Personen in den Grossen Rat, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des Kantons Aargau stehen, und fordern ihn auf, die geltenden (im Vergleich zu anderen Kantonen) strikten Unvereinbarkeitsregelungen im Hinblick auf ihre Verhältnismässigkeit, Aktualität und Plausibilität zu überprüfen. Dies mit dem Ziel, die Wählbarkeit zugunsten weiterer Personalkategorien, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des kantonalen Rechts stehen (u. a. Polizeibeamte oder Lehrpersonen an kantonalen Schulen) zu öffnen.

Begründung:
Unvereinbarkeitsregelungen bezüglich der Wählbarkeit von einzelnen Personalgruppen in den Grossen Rat dienen dazu, Interessenskonflikte zu vermeiden und im Sinne der Gewaltenteilung eine zu grosse Machtfülle zu verhindern. Sie rechtfertigen sich mit der Nähe der einzelnen Amtsträgerinnen und Amtsträger zu den jeweiligen Machträgerinnen und Machträgern im Kanton. § 69 Abs. 4 KV vom 25. Juni 1980 sieht als Grundsatz vor, dass dem Grossen Rat nicht angehören kann, wer in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis des kantonalen Rechtes steht. Dieser Grundsatz gilt allerdings nicht absolut: § 69 Abs. 5 KV behält dazu ausdrücklich Ausnahmen vor für Konstellationen, die mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar sind.

Diese Ausnahmen sind im Unvereinbarkeitsgesetz vom 29. November 1983 geregelt. § 4 Abs. 1 lit. a lässt die Einsitznahme im Grossen Rat zu für Lehrkräfte der Volksschule, Aushilfsmitarbeiter, Praktikanten sowie die in Teilzeit angestellten Mitarbeiter mit einem Pensum von 20 %. Der Entscheid, den Lehrpersonen der Volksschule das passive Wahlrecht zuzugestehen, gründet auf dem Argument ihrer Einstellung. Diese würde durch die Gemeinden erfolgen und nicht durch den Kanton, weshalb sie Angestellte der Gemeinden und nicht des Kantons seien.

Mit der gleichen Argumentation kann man heute auch Lehrpersonen der kantonalen Schulen das passive Wahlrecht zugestehen, werden diese doch seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über die Anstellung der Lehrpersonen (GAL) vom 17. Dezember 2002 und der Verordnung über die Anstellung und Löhne der Lehrpersonen (VALL) vom 13. Oktober 2004 nicht mehr durch die kantonale Verwaltung angestellt, sondern durch die Schulleitungen der kantonalen Schulen. Angesichts der Tatsache, dass jegliche Dienst- und Lohnverhältnisse durch das gleiche kantonale Recht geregelt sind und sämtliche Löhne durch den Kanton bezahlt werden, erachten wir die rein formellrechtliche Unterscheidung des Angestelltenverhältnisses als ungenügend, um Lehrpersonen der kantonalen Schulen nicht ebenfalls das passive Wahlrecht in den Grossen Rat zu gewähren. Gelangt man nämlich bei Lehrpersonen der Volksschule zum Schluss, deren dienstliche Funktion sei vereinbar mit der parlamentarischen Arbeit, welche gerade den Bildungsbereich als kantonale Aufgabe zentral betrifft, und kommt man weiter zum Schluss, gegen die gesetzgeberische Mitgestaltung und Mitwirkung von Lehrpersonen der Volksschule in Belangen der eigenen Tätigkeit sei nichts einzuwenden (so besteht namentlich auch keine Ausstandspflicht bei der Behandlung personalrechtlicher Erlasse und Beschlüsse), so ist nicht einzusehen, weshalb dies nicht auch für Lehrpersonen der kantonalen Schulen gelten soll – deren Interessenskonflikte sind jedenfalls nicht grösser als jene der Lehrpersonen der Volksschule. Dies gilt für Mittelschullehrpersonen ebenso wie für Lehrpersonen der kantonalen Schule für Berufsbildung, der Berufsfachschule Gesundheit und Soziales Brugg, des Landwirtschaftlichen Zentrums Liebegg, der Höheren Fachschule Gesundheit und Soziales oder die Schweizerische Bauschule Aarau.

Aufgrund dieser Überlegungen stellt sich in der Folge im Sinne der Rechtsgleichheit die Frage, ob die Wählbarkeit in den Grossen Rat nicht auch für weitere Personalgruppen, welche im Dienstverhältnis des kantonalen Rechtes stehen, zuzulassen sei, soweit sich diese in ihrer Verwaltungstätigkeit „grundsätzlich nicht mit politischen Anliegen beschäftigen, sondern einzig mit Vollzugsaufgaben betraut sind“, wie es der Regierungsrat in der Beantwortung einer Motion der CVP-Fraktion (GR.17.93) formuliert. Dies würde beispielsweise auch für die meisten Mitarbeitenden des Aargaui-schen Polizeikorps zutreffen. Die Gewährung des passiven Wahlrechts an weitere Personalgruppen ist abzuklären, ebenso wie die damit in engem Zusammenhang stehende Frage, ob strikter gefasste Ausstandregelungen im Grossen Rat das Gleichheitsprinzip nicht besser verwirklichen als sehr weitgehende und strikt gefasste Unvereinbarkeitsregelungen.

Wie das Bundesgericht feststellte, besteht kein allgemeiner, in den schweizerischen Kantonen durchwegs anerkannter Rechtsgrundsatz, wonach ein Bediensteter des Kantons nicht Mitglied seiner eigenen Behörde sein kann (BGE 89 I 75 E. 3). Gegenteils würden viele Kantone in grösserem oder kleinerem Umfang die Wahl von kantonalen Beamten und Angestellten in das Parlament zulassen; so lasse beispielsweise das Recht des Kantons Schaffhausen die Wahl von kantonalen Beamten und Angestellten in den Grossen Rat uneingeschränkt zu, was keineswegs ungewöhnlich sei (BGE 123 I 97 E. 5). Auf Bundesebene sind eidgenössische Beamte nicht in den Nationalrat, hingegen in den Ständerat wählbar. Im Zusammenhang mit einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen umstritte-ne Ausstandsregelungen für kantonale Beamte gegen den Grossen Rat des Kantons Schaffhausen nimmt das Bundesgericht in BGE 123 I 97 E. 5 die Schaffhauser Argumentation ernst, dass die Glaubwürdigkeit des Parlamentes weitgehend von der Voreingenommenheit einzelner Mitglieder oder Gruppierungen bei der Abstimmung über sie selbst betreffende Sachgeschäfte und Vorlagen abhänge, was auf Bedienstete des Kantons besonders zutreffe. Das Bundesgericht stellt jedoch auch fest, es entspreche dem Wesen der repräsentativen Demokratie, dass Parlamentarier in der einen oder anderen Form Interessenvertreter sind; sie hätten häufig wichtige Funktionen in Berufs- und Wirtschaftsverbänden oder anderen Interessengruppen. Grundsätzlich befänden sich Beamte jedoch in keiner anderen Lage als zum Beispiel Landwirte, die für eine günstige Landwirtschafts- und Subventionsgesetzgebung kämpfen, oder Unternehmer, welche sich für Wirtschaftsförderung oder eine die Unternehmungen entlastende Steuergesetzgebung eintreten. Man könnte anfügen: oder Vertreterinnen und Vertreter der Gesundheitsbranche, welche sich im Grossen Rat in der Gestaltung des Gesundheitswesens massgebend einbringen.

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