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Sozialhilfeabhängigkeit von Bewohnerinnen und Bewohnern in den aargauischen Pflegeheimen

6. Dezember 2022

Interpellation Andre Rotzetter, Mitte, Buchs (Sprecher), und Patrick Gosteli, SVP, Böttstein, vom 6. Dezember 2022 betreffend Sozialhilfeabhängigkeit von Bewohnerinnen und Bewohnern in den aargauischen Pflegeheimen

Text und Begründung:
Mit der Einführung der Neuordnung der Pflegefinanzierung in der Schweiz im Jahr 2011 verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, eine zusätzliche finanzielle Belastung der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) zu vermeiden, und die sozialpolitisch schwierige Situation bestimmter Gruppen pflegebedürftiger Personen zu entschärfen. Unter anderem wurden die Kantone verpflichtet, dafür zu sorgen, dass ein Pflegeheimaufenthalt in der Regel keine Sozialhilfeabhängigkeit begründet. Im Rahmen der parlamentarischen Debatte zur Neuordnung der Pflegefinanzierung sprach sich die Mehrheit des Nationalrates ursprünglich dafür aus, dass keine Person durch den Pflegeheimaufenthalt Sozialhilfe benötigen soll. Eine Minderheit im Nationalrat sprach von Einzelfällen bzw. Ausnahmefäl-len, in denen die Sozialhilfe bei der Finanzierung eines Pflegeheimaufenthaltes zum Tragen kommen soll. Diese Position wurde auch vom Ständerat eingenommen und schliesslich mit der Formulierung „in der Regel keine Sozialhilfeabhängigkeit“ ins Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) aufgenommen.
Der Kanton Aargau hat per 1. Januar 2008 im Gesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung im Kanton Aargau (Ergänzungsleistungsgesetz Aargau, ELG-AG) als anerkannte Ausgaben für Pflegeheimbewohnerinnen und -bewohner eine Tagestaxe von maximal Fr. 200.– festgelegt, die auch heute noch gilt. Im Kanton Aargau wurde seinerzeit mit ca. 20 bis 30 Fällen gerechnet, in denen eine Sozialhilfeabhängigkeit besteht (Interpellation 08.134, Antwort des Regierungsrats).

Der Regierungsrat legt gemäss ELG-AG die effektiv anwendbare Tagestaxe durch Verordnung fest. Diese wurde per 1. Januar 2008 auf Fr. 150.– bestimmt und per 1. Januar 2013 auf Fr. 160.– erhöht. In Ergänzung dazu hat der Regierungsrat beschlossen, dass bei Personen, bei denen der Betrag von Fr. 150.– nicht ausreicht und deshalb eine Sozialhilfeabhängigkeit droht, bei der Wohnsitzge-meinde ein begründeter Antrag auf Anerkennung einer Tagestaxe von maximal Fr. 200.– gestellt werden kann. Der Schlussbericht „Evaluation der Neuordnung der Pflegefinanzierung“ des Bundes-amtes für Gesundheit (BAG) mit Stand Herbst 2016 kommt zum Schluss, dass der Kanton Aargau zu den Kantonen gehört, in denen die Vorgabe, dass ein Pflegeheimaufenthalt in der Regel keine Sozi-alhilfeabhängigkeit begründet, erfüllt ist.

Allerdings hat der Regierungsrat die maximal anrechenbare Tagestaxe per 1. Januar 2020 auf Fr. 152.– bzw. auf Fr. 190.– gekürzt. Zudem sind die Kosten der Pflegeheime und damit auch die er-hobenen Tagestaxen gestiegen. Die durchschnittlich erhobene Tagestaxe betrug beispielsweise im Jahr 2020 rund Fr. 178.–.

Die aktuelle Strom- und Gasmangellage sowie die generelle Teuerung führen bei den Pflegeheimen zu spürbar erhöhten Kosten. Der Kanton Thurgau beispielsweise hat bereits reagiert und die beste-hende Obergrenze bei den Ergänzungsleistungen um Fr. 15.– erhöht, damit 80 % der Heimplätze voll über die Ergänzungsleistungen gedeckt sind. Mit dem neuen Ansatz werden aktuell sogar 91 % der Heimplätze abgedeckt.

Eine repräsentative Umfrage der vaka zeigt, dass rund 80 % der befragten Institutionen im Kanton Aargau auf den 1. Januar 2023 hin eine Erhöhung der Taxen umsetzen müssen. Die geplanten und wohl in der Zwischenzeit beschlossenen Taxen übersteigen in 135 von 148 Zimmerkategorien (91 %) den tieferen Höchstansatz von Fr. 152.–. Die obere Grenze von Fr. 190.– wird in 61 von 148 Zimmerkategorien (41 %) überschritten. Es muss also damit gerechnet werden, dass nicht wenige Bewohnerinnen und Bewohner im Kanton Aargau einen Antrag auf Sozialhilfe stellen müssen. Das verletzt aus Sicht der Interpellanten die bundesgesetzliche Vorgabe, wonach ein Pflegeheimaufent-halt in der Regel keine Sozialhilfeabhängigkeit begründet.
In diesem Zusammenhang möchten die Interpellanten vom Regierungsrat wissen:

  1. Bei wie vielen Pflegeplätzen (absolut und in Prozent) liegt die Tagestaxe ab Januar 2023 über dem tieferen Höchstansatz von Fr. 152.– gemäss Pflegeverordnung?
  2. Macht der tiefere Höchstansatz überhaupt noch Sinn?
  3. Bei wie vielen Pflegeplätzen (absolut und in Prozent) liegt die Tagestaxe ab Januar 2023 über der oberen Grenze von Fr. 190.– gemäss Pflegeverordnung?
  4. Bei wie vielen Pflegeplätzen (absolut und in Prozent) liegt die Tagestaxe ab Januar 2023 über der Grenze von Fr. 200.– gemäss Ergänzungsleistungsgesetz Aargau?
  5. Wie viele Bewohnerinnen und Bewohner beziehen im Jahr 2022 bereits Sozialhilfe und wie viele müssen ab Januar 2023 neu Sozialhilfe beantragen?
  6. Sieht der Regierungsrat in dieser Situation die bundesgesetzliche Vorgabe, wonach ein Pflege-heimaufenthalt in der Regel keine Sozialhilfeabhängigkeit begründet, nicht als verletzt an?
  7. Wie reagieren andere Kantone auf diese Erhöhungen der Taxen in den Pflegeheimen (siehe Kan-ton Thurgau)?
  8. Was plant der Regierungsrat des Kantons Aargau?

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