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Rolle und Verantwortung DVI im Zusammenhang mit den Vorgaben an die Einbürgerungsbehörden in Aargauischen Gemeinden, im Speziellen bezogen auf den „Fall Buchs“

10. November 2017

Interpellation Marianne Binder-Keller, CVP, Baden, vom 7. November 2017 betreffend Rolle und Verantwortung des Departements für Volkswirtschaft und Inneres (DVI) im Zusammenhang mit den Vorgaben an die Einbürgerungsbehörden in Aargauischen Gemeinden, im Speziellen bezogen auf den „Fall Buchs“

Text und Begründung:
Der Kanton gibt den Aargauischen Gemeinden Handlungsanweisungen für die Einbürgerungen und liefert ihnen Protokollvorlagen für die Einbürgerungsgespräche, aufgeteilt in 13 Themenblöcke inklu-sive Musterfragen. Nach diesen Vorgaben richten sich die Einbürgerungsbehörden, im vieldiskutierten Fall auch diejenige der Gemeinde Buchs. Deshalb möchte ich vom Regierungsrat, beziehungs-weise vom zuständigen Departement Volkswirtschaft und Inneres (DVI) wissen:
1. Wie beurteilt das DVI die Umsetzung seiner eigenen Protokollvorlagen beziehungsweise seiner eigenen Musterfragen durch die Buchser Behörden, insbesondere in den folgenden konkreten Beispielen?
Erstens: Protokollvorlage DVI, Themenblock „Wohnen“. Vorschlag für vertiefende Fragen:
„Was wissen Sie über die Abfallentsorgung in der Gemeinde?“
Als Schlüsselbegriffe beim Thema Wohnen werden u. a. genannt: Abfallsäcke (gebührenpflichtig), Grünabfuhr, Glas, Pet-Flaschen, Altmetall, Altpapier, Öl, Batterien, Sperrgutentsorgung, Kehrichtverbrennungsanlage (KVA).
Die EBK Buchs hat daraus die viel kritisierte Frage abgeleitet, wo das Altöl entsorgt werden muss.

Zweitens: Protokollvorlage DVI, Themenblock „Leben in der Schweiz“. Vorschläge für vertiefende Fragen:
„Wann und wie wird Ostern in der Schweiz gefeiert?“
„Welche Sportarten oder kulturelle Anlässe sind in der Schweiz verbreitet, die es in anderen Ländern nicht gibt?“
Beide Fragen hat die Einbürgerungskommission (EBK) Buchs so gestellt – und wurde dafür in den Medien massiv kritisiert.

Drittens: Protokollvorlage DVI, Themenblock „Leben im Kanton Aargau“. Vorschlag für vertiefende Fragen:
„Welche regionalen Feste im Aargau kennen Sie?“
Gestützt auf diese Musterfrage wurde die Frage gestellt, ob Frau Y. den „Bachfischet“ in Aarau kenne – Aarau ist immerhin seit der Kindheit für Frau Y. die Nachbargemeinde.

Viertens: Protokollvorlage, Themenblock „Leben in der Gemeinde“. Vorschlag für vertiefende Fragen:
„Welche öffentlichen Gebäude in der Gemeinde kennen Sie?“
Abgeleitet davon wurde gefragt, welche Einkaufsmöglichkeiten Frau Y. in Buchs kennt.

Fünftens: Auf dem Merkblatt zur ordentlichen Einbürgerung (Elektronisches Handbuch für ordentliche Einbürgerungen von Ausländerinnen und Ausländern im Kanton Aargau, Kapitel 3, Merkblatt) steht: „Eingebürgert werden kann nur, wer mit den Lebensverhältnissen in der Schweiz, im Kanton und in der Gemeinde vertraut ist.“ Der EBK Buchs wurde vorgeworfen, sie hätte bei einer so jungen Frau gar keine Fragen zur Gemeinde stellen sollen. Junge Menschen seien mobil und kaum mehr mit der Gemeinde verbunden.

Sechstens: zusätzliche Frage zur Beurteilung. Protokollvorlage Themenblock „Soziale Kontakte“. Wie sollen die Behörden, die Antwort auf die Frage: „Wo kommen Sie in Kontakt mit Menschen Ihrer Gemeinde?“ Mit wem kommen Sie in Kontakt…? objektiv beurteilen?

2. Wie beurteilt der Kanton generell sein Handbuch und die Protokollvorlagen inklusive Musterfragen, welche den Aargauer Einbürgerungsbehörden zur Verfügung gestellt werden? Welche Verlässlichkeit darauf können die Gemeinden erwarten?

3. Die EBK in Buchs wurde mit Kritik eingedeckt, ohne dass das DVI auf seine eigenen Vorgaben hingewiesen hat. Weshalb hat der Kanton in Bezug auf diese Fragen nicht öffentlich zugunsten der EBK Buchs Stellung bezogen und damit Verantwortung übernommen?

4. Kann man die Zurückhaltung so interpretieren, dass sich der Kanton vom bestehenden Fragenkatalog ganz oder teilweise distanziert und die Fragen angepasst werden müssen. Wenn ja, welche Fragen sollen nicht mehr gestellt werden? Besteht ein Konnex zu den Fragen bei den schriftlichen Einbürgerungstests, die – wie in der Beantwortung der Motion 17.167 zu lesen ist – verschärft werden sollen?

5. Bei der Beantwortung der Motion 17.167, Saner/Voser äussert sich der Kanton auch zu den Konsequenzen der Umsetzung, insbesondere die Auswirkungen auf den AFP. In seinen Ausführungen macht er – auch wenn dies mit dieser Motion nicht direkt zu tun hat – Hinweise auf einen Mehraufwand bei der Erweiterung des Fragenkataloges der schriftlichen Einbürgerungstests. Je nach Anzahl zusätzlicher Fragen sei mit einem einmaligen Aufwand von 15’000–30’000 Franken zu rechnen. Wie sind diese Kosten zu erklären? Wie hoch wären die Kosten zur Erarbeitung einer neuen Protokollvorlage mit gezielteren Fragen für die Gemeinden?

6. Unbesehen davon, dass in einer Demokratie auch die Tätigkeit von Behörden kritisch hinterfragt werden muss, mache ich mir Sorgen um die Art und Weise, wie sie der Kritik ausgesetzt werden. Bedrohungen und Beschimpfungen gehören zunehmend dazu. Auch in Buchs standen die öffentliche Empörung und das Bashing der Behörden meines Erachtens in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Vorkommnis und ein ganzes Dorf geriet in negative Schlagzeilen. Inwiefern sieht sich der Kanton selbst in der Verantwortung für Eskalationen wie im Falle Buchs? Wie können Behörden in unserem Milizsystem besser geschützt werden?

In diesem Sommer ist die Einbürgerungsbehörde in Buchs in die Schlagzeilen geraten, weil sie zum Schluss kam, eine junge Türkin, die in der Schweiz aufgewachsen ist, in einer ersten Gesprächsrunde nicht einzubürgern. Die junge Frau hat in der Folge der Öffentlichkeit die Protokolle der Gespräche zur Verfügung gestellt, worauf sich ein medialer Sturm der Entrüstung über die Buchser Einbürgerungsbehörde ergoss. Es kam zu massiven Drohungen, Rassismusvorwürfen, sogar Morddrohungen, zu nächtlichen anonymen Anrufen und Beschimpfungen der Mitglieder der Behörde. Da die Behörde dem Amtsgeheimnis unterliegt, konnte sie über die Gründe ihres Entscheides keine Auskünfte geben, weshalb darüber nicht gewertet werden soll. Nach einem Rekurs beim Regierungsrat und einer Neubeurteilung des Buchser Einwohnerrats ist die junge Frau jetzt eingebürgert, was ihr gegönnt ist. Da auch dieser Entscheidungsprozess wie der erste dem Amtsgeheimnis unterliegt und im Ermessen der beteiligten Behörden ist, ist er hier ebenfalls nicht Gegenstand einer Wertung.

Nach Abschluss des Verfahrens gibt jedoch die Rolle des DVI doch Anlass für Fragen. Entgegen der öffentlichen Darstellung ist das überall scharf kritisierte Protokoll keineswegs ein Machwerk der Buchser Einbürgerungsbehörden. Im Gegenteil. Das DVI stellt den Gemeinden eine Protokollvorlage zur Verfügung, an welche sich die Einbürgerungsbehörden weitgehend gehalten haben. In Hinweise zu Einbürgerungsgesprächen (Elektronisches Handbuch, Anhang 3, 2.4 Kantonale Protokollvorlagen für Erwachsene) steht: „Unter sozialer Integration wird die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben, insbesondere im Wohn-und Arbeitsumfeld verstanden. Unter kultureller Integration wird die Vertrautheit mit örtlichen Lebensgewohnheiten, Sitten und Bräuchen verstanden. Es sollten zwei bis drei Themenblöcke aus dem Bereich soziale Integration sowie die drei Themenblöcke zur kulturellen Integration behandelt werden“. Die Einbürgerungsbehörde baute ihr Gespräch nach diesen Vorgaben auf. Insbesondere stellte sie Fragen zur Schweiz, dem Kanton Aargau und der Gemeinde (kulturelle Integration). Die Beispiele sind oben erwähnt.

Meine Fragen fokussieren sich folglich auf die Rolle und die Verantwortung des Kantons gegenüber den Gemeinden. Behörden sind angewiesen auf Sicherheit und Verlässlichkeit.

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