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Mehr wir, weniger ich. Mehr Konkordanz. Mehr Mitte.

28. April 2023

Eröffnungsrede Parteipräsidentin Marianne Binder-Keller Parteitag Die Mitte Aargau am 26.April 2023 in Reinach

Ich danke Isabell Landolfo, Präsidentin Die Mitte Bezirk Kulm für ihre Begrüssung und selbstverständlich auch für ihr unermüdliches Engagement. Überhaupt danke ich der Mitte des Bezirks Kulm für den grossen Einsatz im wahltechnisch herausfordernden Bezirk, für die Gastfreundschaft und die Wählerresultate, die die Bezirkspartei verantwortet. Dass wir den aargauischen Parteitag hier in Reinach abhalten, ist ein Novum. Das gab es noch nie.

Dass wiederum Reinach im Kanton Aargau liegt, verdanken wir Napoleon, der, wie wir wissen, das Gebiet unseres Kantons ziemlich eigenwillig gestaltet hat, geografisch, wie konfessionell. Er fügte katholische Gebiete, wie es ihm gerade passte, zu reformierten und es war ihm egal, wie wir damit klarkommen. Ich meine, unterdessen sehr gut. Die Heterogenität ist zwar Teil unserer Aargauischen DNA, aber man sagt dem auch Vielfalt und wir sind stolz darauf als viertgrösster landschaftlich wunderschöner Stadt-Land-Kanton einen starken Wert in Bern zu bilden. Politisch leider für unseren Geschmack etwas unausgewogen. Die Mitte und die staatstragenden Kräfte müssen mehr Gewicht haben, das hat die Sondersession gezeigt. Das Abstimmungsverhalten der Pole war eine Peinlichkeit ohnegleichen. Davon später.

Denn nochmals zurück zu Napoleon und Reinach, das einmal zum Untertanengebiet der Stadt Bern gehörte, nachdem die Eidgenossen 1415 den Aargau eroberten. «Die «Gnädigen Herren» von Bern wurden dann aber 1798, als die Franzosen die Schweiz einnahmen und die Helvetische Republik ausriefen, heimgeschickt und Reinach wurde dem Aargau zugeschlagen. Wir finden das gut, sonst könnte uns Isabell Landolfo heute nicht begrüssen, zumindest nicht in dieser Funktion und uns mitteilen, was die Mitte Aargau tut, nämlich Verantwortung übernehmen für diesen Kanton und dieses Land, die Demokratie stärken und für den Zusammenhalt sorgen. Die Mitte steht gegen die Spaltung der Gesellschaft.

Wenn wir also im Herbst diese Wahlen gewinnen, wofür wir gemeinsam alles tun, die Parteileitung, die Kandidierenden, das Wahlteam und Sie alle, dann tun wir es, und dies ist meine tiefe Überzeugung, nicht einfach zum Selbstzweck. Wir wollen eine Politik machen, die auf die Chancen setzt und nicht auf die Defizite. Auf die Lösung und nicht auf die Bewirtschaftung der Probleme. Auf den Zusammenhalt und nicht auf die Spaltung. Auf das Miteinander und nicht auf den Egotrip. So denn auch unser Slogan: Mehr wir! Weniger ich! Mehr Mitte.

Und ich stehe auch deshalb ein für diese Partei, weil sie die Konkordanz verkörpert. Sie bildet einen der Erfolgsfaktoren der Schweiz. Wir verfügen über ein Regierungssystem, für welches die Vielfalt der Meinungen grundlegend ist, die Lösungsfindung aber obligatorisch. Natürlich hört man gerne, was man gerne hören will, aber ich höre oft in letzter Zeit, dass viele Menschen genug haben vom sinnentleerten politischen Hickhack und von Politikern mit extremen Positionen. Sie können sich diese leisten, weil es andere gibt, die sich zur Vernunft berufen fühlen, ein ehemaliger CVP-Ständerat drückte es einmal so aus: zur Vernunft verdammt… Die Pole können sich auf die staatstragenden pragmatischen Kräfte verlassen, die sie gleichzeitig belächeln. Und diese Verachtung ist brandgefährlich für unser Erfolgsmodell Schweiz.

Was das Parlament, das heisst der Nationalrat, und innerhalb diesem die Linke und die Rechte im Verbund geboten haben in diesen zwei Tagen Sondersession, ist ein Trauerspiel und schlicht und ergreifend unverantwortlich. Man kommt zusammen, um im Nachgang des bundesrätlichen CS/UBS Bankendeals zu beraten. Dass diese Beratung richtig war, die Handlungsoptionen auszuloten sind, Vorschläge für die Zukunft angebracht werden müssen, die Kritik auch an einem Management, das eine solch bewährte Bank wie die CS an den Abgrund führte, ist unbestritten. Es ist weiterhin Aufgabe des Parlamentes, dass es Fragen stellt, inwiefern es auch noch andere Optionen gegeben hätte die drohende Banken-Krise zu verhindern. Die Rolle der Finma, der SNB und aller Beteiligten werden nachträglich untersucht, auch das ist richtig. Eine parlamentarische Untersuchungskommission hat das Büro des Nationalrates bereits vorgeschlagen.

Nichtdestotrotz: die Credit Suisse stand am Abgrund. Es fand ein eigentlicher Bankrun statt, was nichts anderes bedeutet, als dass im Kleinen geschah, was die Welt 1929 im Grossen bei der globalen Bankenkrise erlebte. Die Menschen zügelten ihre Gelder ab, weil das Vertrauen in die Banken verschwand und die Bankinstitute wurden zahlungsunfähig. Alle verloren alles. Hätte der Bundesrat einen Konkurs der CS zulassen sollen? Was hätte das bedeutet für die Kontoinhaberinnen und Inhaber, die Gläubigerinnen und Gläubiger, die Arbeitsplätze, die Schweizer Wirtschaft, die globalen Märkte?

Es gab nichts anderes, als wieder Vertrauen zu schaffen. Das ist dem Bundesrat gelungen. Am Montagmorgen ging der Geschäftsverkehr mit der CS wie üblich weiter, die Bankangestellten funktionierten, der Zahlungsverkehr auch. Und dies, nachdem die Welt einen kurzen Moment am Sonntag stillgestanden hatte. Man stelle sich ein anderes Szenario nur einmal ansatzweise vor! Wie hätte es dann im Parlament getönt?

Der Bundesrat ist siebenköpfig, die Mehrheit in diesem Gremium haben SVP und SP inne. Und diese Parteien im Verbund mit den Grünen leisteten sich in der Sondersession nach lautem Geplärre, die Verantwortlichen hätten mehr Verantwortung zeigen müssen, die Verantwortungslosigkeit, diese Bankenrettung abzuschiessen. Wohlweislich, weil man dachte, der Entscheid sei nicht verpflichtend. Ich habe es vorher erwähnt: wenn man sich darauf verlassen kann, dass andere die Verantwortung tragen, kann man locker medienwirksam und wahlkampfgetrieben herumpulvern. Aber glaubt man denn, dass diese Debatte auf den Weltmärkten nicht beobachtet wurde?

Wenn es darum geht, Vertrauen zu schaffen, ist ein solches Zeichen an die Welt ein miserables. Ausgerechnet die selbsternannte einzige Wirtschaftspartei, die SVP, zumindest gemäss fantasievollem Rating des Gewerbeverbandes, tut sich mit ihrem vielgeschmähten sozialistischen Gegner zusammen! Das müsste eigentlich beiden gleichsam peinlich sein. Ich wiederhole: Die Mehrheit im Parlament hat sich gegen die Mehrheit ihrer eigenen Regierungsmitglieder gewandt. Die Pole bestehen darauf, in der Regierung zu sein, spielen aber gleichzeitig Opposition. Das ist verheerend für die Konkordanz. Die staatsragenden Kräfte hatten keine Chance. Sie wurden überstimmt. Und deshalb braucht es mehr von uns. Braucht es mehr Mitte. Mehr Vernunft. Sonst ändert sich das System.

Wir müssen Die Mitte behalten, Mass und Mitte. Wir müssen das gesellschaftliche Zentrum behalten und das Herz auf dem richtigen Fleck. Es ist gerade in Zeiten, in welchen mit Schlagwörtern Stimmung zu machen ist, unsere Aufgabe.

Schlagwörter.

Das Virus hat uns Freiheiten genommen durch die medizinischen Massnahmen. Ja. Aber die Spanische Grippe 1918/19, ein vergleichbares Pandemieereignis, hat mehr als 60 Millionen Menschen das Leben genommen, weil es kaum medizinische Massnahmen gab.
Putin hat die Ukraine überfallen, weil dort Nazis seien und diesen Krieg gäbe es nur, weil die Amis die Welt beherrschen wollen. Herrgott nochmal! Haben diese Leute ihre Geschichtsbücher im Cheminée verfeuert? Man kann den USA ja einiges vorhalten, aber gerade wir Europäer sollten uns wirklich zurückhalten nachdem aus unserem Kontinent zwei Weltkriege ausgegangen sind, von Diktatoren, Demagogen und Irren angezettelt und befeuert, alles in Schutt und Asche lag, und es letztlich entweder darum ging, ob wir in der sowjetischen Diktatur Abstand leben würden oder der nationalsozialistischen.

Unsere Neutralität solle bewaffnet und immerwährend sein. Wir mischen uns nicht ein in fremde Kriege. Ja, aber wir gehören gerne zur westlichen Welt und geniessen Rechtsstaat und Demokratie. Ist es dann nicht opportun, diese Werte und diese Errungenschaften gemeinsam zu schützen bevor wir alleine in der hohlen Gasse landen? Dieser Krieg in Europa ist ein Krieg zwischen Diktatur und Demokratie. Zwischen Freiheit und Unterdrückung. Zwischen Rechtstaat und Terrorstaat. Neutralität heisst, auf der richtigen Seite stehen. Und das, bitte sehr, können nicht beide Seiten sein.

Wir haben ein Leben lang nichts anderes genossen als die maximale Freiheit und erleben nun, wie gewisse Kräfte in Europa und in diesem Land in maximaler Freiheit, der maximalen Unfreiheit huldigen in einer masslosen Umkehr der Täter/Opferlogik in diesem Krieg. Ein Luxus, der zynischer nicht sein könnte angesichts der furchtbaren Zerstörung und der Opfer in einem demokratischen Land, das von den Russen überfallen wurde.

Behalten wir also kühlen Kopf und das Herz auf dem rechten Fleck. Diskutieren wir die Herausforderungen, beispielsweise die Sorgen der Familien. Ich habe eben eine Studie gelesen. Nach wie vor dominieren die hohen Krankenkassenprämien und die steigenden Kosten, die das Familienbudget belasten. Haben wir auch noch eine genügende Vorsorge, wenn wir in Rente gehen, fragen sie sich. Die Familienbesteuerung sei auch eine Herausforderung, wen wundert es, die Heiratsstrafe auf Bundesebene, beispielsweise. Die doppelte Besteuerung der Kitakosten. Die Sorge um die Umwelt und gerade deshalb ist das Klimagesetz ein Thema für uns, das auf Anreize setzt, statt auf Verbote. Die Maximalforderungen von links und rechts sind zwar gut für die jeweilige Klientel, aber gerade deswegen sind sie beim Volk nicht mehrheitsfähig. Auch deshalb. Mehr wir, weniger ich. Mehr Konkordanz. Mehr Mitte.

Ich komme zum Schluss und will Ruth Humbel an diesem ersten Parteitag nach ihrem Rücktritt danken für ihr langjähriges Wirken erst im Aargauischen Grossen Rat, dann im Nationalrat. Ruth Humbel gehörte dem Nationalrat seit dem 15. September 2003 an. Seit Beginn war sie Mitglied der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, welche sie 2020 und 2021 während der herausfordernden Pandemiezeit präsidierte. Von 2007-2019 war sie auch Mitglied der staatspolitischen Kommission, während eineinhalb Jahren Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission. Ruth Humbel gehört unbestritten zu den renommiertesten Gesundheitspolitikerinnen in der Bundesversammlung. Sie hat zahlreichen Vorlagen ihren Stempel aufgedrückt und Abstimmungskampagnen im Gesundheitsbereich und im Bereich der Sozialversicherungen geprägt. Ihre Dossiersicherheit und langjährige Erfahrung machten sie zu einer wichtigen Schlüsselperson im Bereich Gesundheit und Soziales und weiteren Themen. Dass nach vielen gescheiterten Versuchen, die AHV zu sanieren, mit der letzten Abstimmung eine Volksvorlage Erfolg hatte, gehört sicher zu einem der befriedigendsten Erlebnisse in Ruth Humbels politischer Karriere. Wir danken Ruth Humbel für ihr langjähriges politisches Wirken, zuerst im Grossen Rat und anschliessend im Nationalrat. Für den Aargau und für die Schweiz.

Vor uns liegt ein reichbefrachteter Parteitag mit verschiedenen nationalen und kantonalen Volksvorlagen, über welche wir zu befinden haben. Bevor wir in die Debatten einsteigen, möchte ich zur Kenntnis bringen, dass der Parteivorstand vorgängig einstimmig beschlossen hat, der Verlängerung des Covidgesetzes zuzustimmen. Die landesweiten Massnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie wurden vom Bundesrat per April 2022 aufgehoben. Da sich der weitere Verlauf der Covid-19-Pandemie jedoch nicht abschätzen lässt und damit bewährte Instrumente zu deren Bewältigung weiter zur Verfügung stehen sollen, muss die Rechtsgrundlage von ausgewählten Massnahmen des grösstenteils bis Ende 2022 befristeten Covid-19-Gesetzes bis Sommer 2024 verlängert werden.

Gegen diesen Beschluss von Bundesrat und Parlament haben verschiedene massnahmenkritischen Vereine das Referendum ergriffen. Die Argumente sind bekannt. Man sieht die Demokratie in Gefahr und die Grundrechte der Schweizer Bevölkerung. Ausserdem sei die Pandemie jetzt vorbei. Würde die Verlängerung des Covid-Gesetzes jedoch abgelehnt, beträfe dies beispielsweise auch die gesetzlichen Grundlagen für das Covid-Zertifikat oder für das Contact-Tracing, aber auch die Vorsorgen für den Ernstfall, die Meldepflicht für Bestände von Heilmitteln, Schutzausrüstungen und weiteren für die Gesundheitsversorgung wichtigen medizinischen Gütern oder die Bestimmungen für Massnahmen im Ausländerbereich. Auch die Dringlichkeit der Handlungsfähigkeit bei einem weiteren Aufflackern der Pandemie wäre gefährdet. Es darf keine Lücken geben beim Vollzug. Auch die Bundeshausfraktion empfiehlt die Vorlage mit 42 zu 0 Stimmen bei 1 Enthaltung zur Annahme.

Ich danke Ihnen.

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