Optimierung und Weiterentwicklung der integrativen Schulform in der Volksschule Aargau
18. November 2024
Postulat der Mitte-Fraktion (Sprecher Jürg Baur, Brugg) vom 19. November 2024 betreffend Optimierung und Weiterentwicklung der integrativen Schulform in der Volksschule Aargau
Text:
Der Regierungsrat wird beauftragt, konkrete Massnahmen zu ergreifen, welche das Gelingen der integrativen Schulform mit einem Mehrwert sicherstellen.
Begründung:
Die integrative Schulform ist im Kanton Aargau politisch stark unter Druck. Das Ziel, die Vielfalt der Schülerschaft zu respektieren und jedem Kind die bestmögliche Förderung zukommen zu lassen, ist unbestritten. Darüber, wie dies erreicht werden kann, scheiden sich jedoch die Geister. Der Aargau hat sich für die integrative Schulform entschieden und die Gemeinden haben diese mit viel Aufwand umgesetzt. Der eingeschlagene Weg sollte deshalb weiterverfolgt und optimiert werden.
Um ein solches Bildungssystem erfolgreich zu realisieren und dabei allen Schülerinnen und Schüler (SuS) individuelle Lernfortschritte zu ermöglichen, braucht es bei den Schulen vor Ort nebst ausreichenden Ressourcen eine hohe Professionalität aller Fachkräfte und eine Schule mit einer gestärkten Haltung in Bezug auf die gemeinsame Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit unterschiedlichen Bedürfnissen sowie tragfähige Kooperationen aller Beteiligten.
Kinder und Jugendliche mit Lernschwierigkeiten1 lernen in integrativen Schulformen mehr und zeigen bessere Schulleistungen als vergleichbare Kinder und Jugendliche in separativen Schulformen (Sonderschulen, Sonderschulklassen) (Bless 2017; Matthewes, 2020). Dieser Befund wird in zahlreichen Querschnittstudien immer wieder bestätigt (Kocay et al. 2014), in den bisherigen wenigen Längsschnittstudien sind die Effekte für integrative Schulsettings auch eher positiv, allerdings we-niger deutlich als in den Querschnittstudien (Lütje-Klose et al., 2018).
Als Grund für bessere Schulleistungen in integrativen Schulformen wird das höhere Erwartungsniveau in integrativen Schulklassen im Vergleich zu Sonderschulen und Sonderschulklassen ange-nommen (Sahli Lozano, 2022; Pit-ten Cate & Krischler, 2020). Zudem finden sich für Kinder mit Lernschwierigkeiten in integrativen Schulformen positive Vorbilder, was häufig in Sonderschulklas-sen nicht der Fall ist, da alle Kinder und Jugendlichen ähnliche Schwierigkeiten aufweisen (Eber-wein, 2018). Zudem kann aufgezeigt werden, dass separativ geschulte Kinder und Jugendliche mit Lern- und Verhaltensprobleme geringere Chancen auf eine Integration im ersten Arbeitsmarkt und an der Partizipation an der Gesellschaft haben (Eckhart et al., 2011; Riedo, 2000). Dies führt zu gesellschaftlichen Folgekosten.
Ein ausschlaggebender Punkt für eine optimale Förderung von Kindern mit Lernschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten sind die schulischen Kontextfaktoren, wie die Gestaltung von Beziehungen, die didaktische Orientierung und Gestaltung, die Einstellung der Lehrpersonen, der verhaltenspädagogische Umgang mit schwierigen Situationen, die Professionalität aller Fachkräfte, der Einbezug des familiären Umfeldes und nicht zuletzt die finanziellen Ressourcen. Die Schaffung einer integrativen, respektvollen und unterstützenden Lernumgebung ist entscheidend, um die Potenziale der Diversität zu nutzen. Der vorhandene Fachkräftemangel, die Zunahme von Kindern und Jugendlichen mit besonderen Bedürfnissen und die gestiegene Erwartung der Eltern an die Kinder, verschärfen die Herausforderungen an unseren Schulen.
Es muss uns gelingen, dass der Regelunterricht mit den nötigen Unterstützungsmassnahmen und die Klassenlehrpersonen gestärkt werden können. Mögliche Unterstützungen sind:
- Schnellere Abklärungen bei Kindern mit Verdacht auf Autismus-Spektrum-Störungen oder möglichen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen
- Zeitnahe Umsetzung von bereits geforderten Frühfördermassnahmen
- Abbau der Wartelisten für SuS, die aufgrund von Abklärungen in einer Sonderschule gefördert werden müssen
- Prüfung neuer Arbeitsmodelle
- Unterstützung von Lehrpersonen
o Weiterbildung und Beratung für eine differenzierte Didaktik in (immer) heterogenen Lerngruppen für Lehrpersonen und in geeigneter Form auch für Schulleitungen.
o Weiterbildung und situative Beratung in verhaltens-pädagogischen Ansätzen für die Lehrpersonen und in angepasster Form für Schulleitungen.
o Schulung der Lehrpersonen und Schulleitungen in der Gesprächsführung mit den Eltern auffälliger Schülerinnen und Schüler.
o Schaffung temporärer Time-out-Möglichkeiten bei gleichzeitiger Beratung und Intervention in den Herkunftsklasse. - Zurverfügungstellung von entsprechenden und genügenden Ressourcen
Wir bezeichnen die integrative Schulform nicht als gescheitert, sondern als Schulform, die aufgrund verschiedenster Erfahrungen und Erkenntnissen weiterentwickelt werden muss. Dies soll möglichst zeitnahe mit einer sorgfältigen Planung und einem effizienten Umgang mit den entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen passieren.
(1 Diese Umschreibung umfasst in der Regel Kinder mit allgemeinen Lernschwierigkeiten, Entwicklungsverzögerungen und Teilleistungsstörungen (z.B. Lese-Rechtschreib-Störungen und Rechenstörungen) (Dienststelle Volksschulbildung, 2023).)