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Edith Saner – Nationalfeiertag in Neuenhof

1. August 2023

Die Gemeinde Stetten, wo ich heute Morgen bereits eine Festrede hielt, lässt Sie herzlich grüssen und wünscht Ihnen einen stimmigen und schönen Anlass zum ersten August.

Als ich im Juni von Ihrem Gemeindeamman, Martin Übelhart die Anfrage erhielt, ob ich kurzfristig zum Nationalfeiertag nach Neuenhof kommen könnte, musste ich nicht nur ein paar organisatorische Details klären, sondern auch mit dem Gemeindeammann von Stetten besprechen, ob es für ihn und seine Gemeinde machbar wäre, wenn ich nicht zum Mittagessen bleiben würde. Kurt Diem wusste, dass sich Neuenhof kurzfristig neu organisieren muss und für ihn war es selbstverständlich, für eine Lösung Hand zu bieten.
Um 14.30 Uhr sollte ich noch ins Alterszentrum in Fislisbach. Der Besuch dort am 1. August ist für mich seit vielen Jahren gesetzt. Die Wertschätzung an diesem Tag gegenüber der Generation 80+ ist für mich sehr wichtig. Es ist die Generation, die in den Nachkriegsjahren für unsere Schweiz enorm viel geleistet hat.

Nun bin ich hier und freue mich sehr, in Neuenhof zu sein.
Ich freue mich, da mich und meine Wohngemeinde Birmenstorf mit der Gemeinde Neuenhof einiges verbindet, aber auch klar unterscheidet:
• Beide Gemeinden liegen an einem Fluss. Birmenstorf an der Reuss, die im Gotthardmassiv, also in der Urschweiz entspringt. Neuenhof an der Limmat, die im Tödi-Massiv, im Kanton Glarus, als Linth den Anfang nimmt und erst ab Zürich als Limmat weiterfliesst.
• Birmenstorf wie auch Neuenhof haben unter anderem durch den Ausbau der Infrastruktur, vor allem der Autobahn, ab 1970 einen grossen Bauboom erlebt. Beide Gemeinden waren und sind gefordert, dass Zusammenleben, die Gemeinschaft und vieles mehr auf kommunaler Ebene neu zu gestalten.
• Neuenhof, bzw. deren Behördenmitglieder, durfte ich in der Regionalplanungsgruppe Baden Regio kennen und schätzen lernen. Mir ist jeweils aufgefallen, dass Neuenhof sich mit zum Teil ganz anderen Themen zu befassen hatte als andere Gemeinden in der Region Baden. Die Vertretungen aus Neuenhof brachten immer viel Wissen und Erfahrung ein und waren bereit, den kleineren Gemeinden Support zu geben.
• Ein markanter Unterschied zwischen Neuenhof und Birmenstorf ist die Anzahl der Bevölkerung im Vergleich zu den Gemeindeflächen. In Birmenstorf leben auf einem Km2 ca. 380 Menschen, in Neuenhof ca. 1660. In Neuenhof leben somit etwa 4mal mehr Menschen auf einem Km2 als in Birmenstorf.
• Im Weiteren ist in Birmenstorf der Ausländeranteil bei knapp 20%, in Neuenhof bei ca. 50%.
• Ich habe grossen Respekt und Achtung, was Neuenhof leistet. Sei es im Umgang mit den unterschiedlichsten Menschen, mit der Planung und Instandhaltung der ganzen Infrastruktur, der Gestaltung des Zusammenlebens mit den verschiedensten Generationen, dem Angebot an Bildung und Kultureinrichtungen und vielem mehr. Ich bin überzeugt, dass Neuenhof diesbezüglich für viele Gemeinden ein Vorbild ist oder sein könnte. Hier wird nicht nur von Integration gesprochen, hier wird dieses Thema seit Jahren gelebt und aufgrund von Erfahrungen weiterentwickelt.
• Und etwas verbindet mich persönlich aktuell mit Neuenhof? Martin Übelhart ist ein waschechter Solothurner, ein Gäuer aus Oberbuchsiten, – genau wie mein Mann. Seit 40 Jahren haben die Solothurner bei mir als ursprüngliche Luzernerin einen besonderen Stein im Brett.
Das sind einige Punkte, was mich persönlich oder meine Wohngemeinde Birmenstorf mit Ihnen und der Gemeinde Neuenhof verbindet oder auch klar unterscheidet.
Weshalb erzähle ich Ihnen dies? Weil mir an unserem Nationalfeiertag besonders bewusst wird, wie wichtig in unserem Leben die sozialen Kontakte und das Gemeinsame ist. Das Gemeinsame können wir nur finden, wenn wir den Mut haben, dies zu benennen oder auch das, was anders ist, als Bereicherung anzunehmen.

Zur gleichen Zeit, als in Amerika in der Sierra Nevada um 1848 ein Klümpchen Gold den Goldrausch ausgelöst hat und dieser Fund viele prägende Konflikte nach sich zog, – wurde am 12. September 1848, also vor 175 Jahren, aus der alten Eidgenossenschaft ein Bundesstaat und somit die erste Demokratie Europas gegründet. In einer Zeit, wo es in der Schweiz viele Unruhen gab, konfliktreich war, unter anderem auch geprägt durch religiöse Auseinandersetzungen und den vielen Nachwehen des Sonderbundkrieges von 1847.
Die damaligen 22 Kantone entschieden sich, Kompetenzen an den Bund zu delegieren: Zoll, Post, Telegrafendienst, Eisenbahn, Währung, Wahlen und Wahlverfahren. Diese Aufgaben wurden in die Verantwortung des neuen Bundesstaates gegeben und vereinheitlicht. In späteren Jahren wurde auch das Militär-, Straf-, Zivil- und Wirtschaftsrecht an den Bund delegiert.

Die aktuelle Bundesverfassung stammt aus dem Jahr 1999. Es ist die dritte Fassung seit 1848 und zeigt auf, dass sich das oberste Gesetz der Schweiz in den letzten 175 Jahren immer wieder weiterentwickelte. Zum einen wurde die Verfassung nach und nach an die sich verändernden Gegebenheiten angepasst, zum anderen wurde sie deutlich erweitert, was vor allem auf die zunehmende Komplexität der Gesellschaft und auf die Einführung der Volksinitiative zurückzuführen ist. Im 1848 zählte die Bundesverfassung 114 Artikel, die Heutige hat deren 197.

Eine für mich prägende Entscheidung wurde im 1938 gefällt, also vor 85 Jahren. Stellen Sie sich vor, in einer Zeit, in der Minderheiten in Europa verfolgt, Demokratien abgeschafft wurden und rassistisches Gedankengut um sich griff, wurde in der Schweiz die rätoromanische Sprache als vierte Landessprache anerkannt und in der Verfassung verankert. Dieser Schritt war ein klares und wichtiges Zeichen, dass unsere vielfältige und lebendige Kultur die Schweiz lebenswert macht und in der Verfassung verankert sein muss. Ein zu dieser Zeit bemerkenswerter Entscheid. Vielfalt spiegelt sich nicht nur in Bauten, Landschaften und den regionalen Traditionen, sondern auch in den Landessprachen. Die Anerkennung der vier Sprachen, die Pflege der Sprachkompetenzen und Sprachenvielfalt fördert den kulturellen Austausch und damit die Verständigung in unserem Land.

Pestalozzi sagte einmal: «Vereinigung ist das Mittel, alles zu können.»

Mit dem Schritt zur Bundesverfassung vor 175 Jahren wurde ein wichtiger Baustein zur Vereinigung verschiedenster Aufgaben erstellt. Mit dieser Verfassung wurde eine Grundlage unserer gesellschaftlichen Werte und das Fundament unserer direkten Demokratie gelegt.
Die Gründer und Pioniere waren gefordert, gesprächsbereit zu sein, das Gemeinsame zu suchen und Werte des Zusammenlebens zu definieren. Mit dem Ziel, die Freiheit und die Rechte des Volkes zu schützen und die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Mit obersten Gesetzen aber auch die Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt unseres Landes zu fördern.
Ich habe grosse Achtung und Respekt, was unsere Vorfahren vor 175 Jahren geleistet haben. Steigmeier und Seiler haben im Buch «Geschichte des Aargaus» geschrieben: «Kaum jemand sah voraus, dass sich die Schweiz nun von einem Gebiet dauernder Unruhen und Konflikte zu einem der stabilsten europäischen Länder wandeln sollte».
Darauf können wir tatsächlich stolz sein. Die Geschichte lehrt uns aber auch, dass ein erfolgreiches Zusammenleben nur möglich ist, wenn wir einerseits unsere Verfassung ernst nehmen und anderseits bereit sind, uns für die Nachhaltigkeit und die Gemeinschaft einzusetzen.
Der Goldrausch in Amerika hat einigen Menschen Glück gebracht, aber auch viel Neid und Misstrauen gestreut.
Was braucht es, dass ein Land trotz Wohlstand die gegenseitige Hilfsbereitschaft und Solidarität nicht verliert?

Als Beispiel erzähle ich Ihnen gerne eine Fabel:
«Ein Pferd trabt, nur den eigenen Sattel tragend, aber ohne zusätzliche Last, neben dem mit schweren Körben und Säcken beladenen Esel. Der Esel leidet unter dem schweren Gewicht und bittet das Pferd immer wieder, ihm einen Teil abzunehmen. Zu zweit wäre es für beide machbar gewesen, die schwer beladenen Körbe und Säcke zu tragen. Das Pferd weigert sich und trabt locker neben dem Esel her. Dieser hat immer mehr Mühe und bricht plötzlich zusammen. Er ist mit seinen Kräften am Ende. Nun wird dem Pferd all das, was der Esel zu tragen hatte, aufgebunden. Zusätzlich hat er noch den eigenen schweren Sattel zu tragen.«

Diese Fabel beeindruckt mich, weil sie zeigt, dass Egoismus wenig mit Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsleben zu tun hat. Sie zeigt auch auf, dass die Verweigerung von Hilfsbereitschaft zum eigenen Bumerang werden kann.
Alfred Rademacher, Versicherungsbeamter und Autor schrieb einmal:
«Der Egoismus ist oft das Gitter, das uns den Weg zum Gegenüber verschliesst.»

Zugehörigkeit, Hilfsbereitschaft und Solidarität, – das sind die Werte, die uns in diesem Jahr das 1. August-Abzeichen vermitteln will. Werte, die zu unserer Bundesverfassung passen. Werte, die aus meiner Sicht in Neuenhof mit dieser eingangs erwähnten unterschiedlichen Bevölkerung täglich gelebt oder auch geübt werden.
Das 1. August Abzeichen wird von Pro Patria, der Stiftung, die sich für die kulturelle Vielfalt in der Schweiz einsetzt, zum hundertsten Mal verkauft. Das Abzeichen in diesem Jahr zeigt eine Velonummer. Beim ersten Blick war ich etwas irritiert und überlegte, was uns die Velonummer als Symbol vermitteln will. Vielleicht, weil die Nummer 120 Jahre montiert werden musste und somit zum Schweizer Kulturgut gehört. Oder weil die Nummer in der Regel nur durch die Hilfsbereitschaft anderer knifflig montiert werden konnte. Oder vielleicht will uns das Abzeichen auch sagen, dass sich hinter einer Nummer oft mehr verbirgt, als dass man auf den ersten Blick vermutet. Ich lade Sie ein, Ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen, was sich hinter diesem Abzeichen verbergen könnte.

Abschliessend ein paar Kernpunkte aus meiner Festrede:
• Die Reuss mit der Quelle in der Innerschweiz und die Limmat, mit der Quelle im Glarnerland, sind mehr als nur Flüsse zum Schwimmen, «Böteln» und Uferwandern. Beide Flüsse fliessen durch verschiedene Kantone und Gemeinden, die unterschiedliche Traditionen und Dialekte pflegen. Sie bieten einen wichtigen Lebensraum für Mensch, Tier und Pflanzen. Sie verbinden die Urschweiz und das Glarnerland mit dem Wasserschloss im Kanton Aargau und haben symbolisch gesehen etwas über Generationen hinweg Verbindendes.
• In chaotischen, turbulenten und schwierigen Zeiten ist es hilfreich und notwendig, gemeinsame Regeln zu erstellen oder/und sich an bestehenden und erfahrenen Vorgaben zu orientieren. Das gibt Sicherheit und Vertrauen. Dies wussten schon die Gründer unserer Bundesverfassung.
• Damit ein gutes Zusammenleben auf die Dauer gelingt, braucht es ab und zu einen Ruck zur Hilfsbereitschaft. Auch wenn Sie meinen, Sie hätten es mit einem Esel zutun.
• Bleiben Sie neugierig. Hinter einer Nummer, wie zum Beispiel des aktuellen 1. August-Abzeichen gibt es vielleicht einiges zu entdecken. Die Neugier ist eine treibende Feder zur Erweiterung unserer kulturellen Vielfalt. Bereits Albert Einstein sagte: «Ich habe keine Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.»

Ja, und bleiben Sie leidenschaftlich, wenn es um unsere Grundwerte geht: Freiheit, Solidarität, Nachhaltigkeit und Wohlfahrt. Nutzen Sie respektvoll unsere Mittel der Demokratie und übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Handeln.

Und nun,- geniessen Sie unseren Nationalfeiertag und geniessen Sie das Zusammensein mit vielen interessanten Menschen. Neuenhof ist mehr als nur ein Wohnort, – Neuenhof ist für mich ein Vorbild, wie Menschen aus unterschiedlichen Kulturen das Zusammenleben gestalten, sich Herausforderungen stellen und konstruktive Lösungen suchen.

Tragen Sie diesen Strukturen weiterhin Sorge, damit Sie mit Stolz und Respekt sagen können: ich wohne in Neuenhof.

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