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Das 1. August-Abzeichen ist mehr als eine Velonummer!

2. August 2023

Stellen Sie sich vor, – zur gleichen Zeit, als in Amerika in der Sierra Nevada um 1848 ein Klümpchen Gold den Goldrausch ausgelöst hat und dieser Fund viele prägende Konflikte nach sich zog, – wurde am 12. September 1848, also vor 175 Jahren, aus der alten Eidgenossenschaft ein Bundesstaat und somit die erste Demokratie Europas gegründet. In einer Zeit, wo es in der Schweiz viele Unruhen gab, konfliktreich war, unter anderem auch geprägt durch religiöse Auseinandersetzungen und den vielen Nachwehen des Sonderbundkrieges von 1847.

Die damaligen 22 Kantone entschieden sich, Kompetenzen an den Bund zu delegieren: Zoll, Post, Telegrafendienst, Eisenbahn, Währung, Wahlen und Wahlverfahren. Diese Aufgaben wurden in die Verantwortung des neuen Bundesstaates gegeben und vereinheitlicht. In späteren Jahren wurde auch das Militär-, Straf-, Zivil- und Wirtschaftsrecht an den Bund delegiert.

Die aktuelle Bundesverfassung stammt aus dem Jahr 1999. Es ist die dritte Fassung seit 1848 und zeigt auf, dass sich das oberste Gesetz der Schweiz in den letzten 175 Jahren immer wieder weiterentwickelte. Zum einen wurde die Verfassung nach und nach an die sich verändernden Gegebenheiten angepasst, zum anderen wurde sie deutlich erweitert, was vor allem auf die zunehmende Komplexität der Gesellschaft und auf die Einführung der Volksinitiative zurückzuführen ist. Im 1848 zählte die Bundesverfassung 114 Artikel, die Heutige hat deren 197.

Eine für mich prägende Entscheidung wurde im 1938 gefällt, also vor 85 Jahren. Stellen Sie sich vor, in einer Zeit, in der Minderheiten in Europa verfolgt, Demokratien abgeschafft wurden und rassistisches Gedankengut um sich griff, wurde in der Schweiz die rätoromanische Sprache als vierte Landessprache anerkannt und in der Verfassung verankert. Dieser Schritt war ein klares und wichtiges Zeichen, dass unsere vielfältige und lebendige Kultur die Schweiz lebenswert macht und in der Verfassung verankert sein muss. Ein zu dieser Zeit bemerkenswerter Entscheid. Vielfalt spiegelt sich nicht nur in Bauten, Landschaften und den regionalen Traditionen, sondern auch in den Landessprachen. Die Anerkennung der vier Sprachen, die Pflege der Sprachkompetenzen und Sprachenvielfalt fördert den kulturellen Austausch und damit die Verständigung in unserem Land.

Pestalozzi sagte einmal: «Vereinigung ist das Mittel, alles zu können.»

Mit dem Schritt zur Bundesverfassung vor 175 Jahren wurde ein wichtiger Baustein zur Vereinigung verschiedenster Aufgaben erstellt. Mit dieser Verfassung wurde eine Grundlage unserer gesellschaftlichen Werte und das Fundament unserer direkten Demokratie gelegt.

Die Gründer und Pioniere waren gefordert, gesprächsbereit zu sein, das Gemeinsame zu suchen und Werte des Zusammenlebens zu definieren. Mit dem Ziel, die Freiheit und die Rechte des Volkes zu schützen und die Unabhängigkeit und Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Mit obersten Gesetzen aber auch die Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, den Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt unseres Landes zu fördern.

Ich habe grosse Achtung und Respekt, was unsere Vorfahren vor 175 Jahren geleistet haben. Steigmeier und Seiler haben im Buch «Geschichte des Aargaus» geschrieben: «Kaum jemand sah voraus, dass sich die Schweiz nun von einem Gebiet dauernder Unruhen und Konflikte zu einem der stabilsten europäischen Länder wandeln sollte».

Darauf können wir tatsächlich stolz sein. Die Geschichte lehrt uns aber auch, dass ein erfolgreiches Zusammenleben nur möglich ist, wenn wir einerseits unsere Verfassung ernst nehmen und anderseits bereit sind, uns für die Nachhaltigkeit und die Gemeinschaft einzusetzen.

Der Goldrausch in Amerika hat einigen Menschen Glück gebracht, aber auch viel Neid und Misstrauen gestreut.

Was braucht es, dass ein Land trotz Wohlstand die gegenseitige Hilfsbereitschaft und Solidarität nicht verliert? Als Beispiel erzähle ich Ihnen gerne eine Fabel: «Ein Pferd trabt, nur den eigenen Sattel tragend, aber ohne zusätzliche Last, neben dem mit schweren Körben und Säcken beladenen Esel. Der Esel leidet unter dem schweren Gewicht und bittet das Pferd immer wieder, ihm einen Teil abzunehmen. Zu zweit wäre es für beide machbar gewesen, die schwer beladenen Körbe und Säcke zu tragen. Das Pferd weigert sich und trabt locker neben dem Esel her. Dieser hat immer mehr Mühe und bricht plötzlich zusammen. Er ist mit seinen Kräften am Ende. Nun wird dem Pferd all das, was der Esel zu tragen hatte, aufgebunden. Zusätzlich hat er noch den eigenen schweren Sattel zu tragen.«

Diese Fabel beeindruckt mich, weil sie zeigt, dass Egoismus wenig mit Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsleben zu tun hat. Sie zeigt auch auf, dass die Verweigerung von Hilfsbereitschaft zum eigenen Bumerang werden kann.

Alfred Rademacher, Versicherungsbeamter und Autor schrieb einmal: «Der Egoismus ist oft das Gitter, das uns den Weg zum Gegenüber verschliesst.»

Zugehörigkeit, Hilfsbereitschaft und Solidarität, – das sind die Werte, die uns in diesem Jahr das 1. August-Abzeichen vermitteln will. Werte, die zu unserer Bundesverfassung passen.

Das 1. August Abzeichen wird von Pro Patria, der Stiftung, die sich für die kulturelle Vielfalt in der Schweiz einsetzt, zum hundertsten Mal verkauft. Das Abzeichen in diesem Jahr zeigt eine Velonummer. Beim ersten Blick war ich etwas irritiert und überlegte, was uns die Velonummer als Symbol vermitteln will. Vielleicht, weil die Nummer 120 Jahre montiert werden musste und somit zum Schweizer Kulturgut gehört. Oder weil die Nummer in der Regel nur durch die Hilfsbereitschaft anderer knifflig montiert werden konnte. Oder vielleicht will uns das Abzeichen auch sagen, dass sich hinter einer Nummer oft mehr verbirgt, als dass man auf den ersten Blick vermutet. Ich lade Sie ein, Ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen, was sich hinter diesem Abzeichen verbergen könnte.

Abschliessend ein paar Kernpunkte:

  • In chaotischen, turbulenten und schwierigen Zeiten ist es hilfreich und notwendig, gemeinsame Regeln zu erstellen oder/und sich an bestehenden und erfahrenen Vorgaben zu orientieren. Das gibt Sicherheit und Vertrauen. Dies wussten schon die Gründer unserer Bundesverfassung.
  • Damit ein gutes Zusammenleben auf die Dauer gelingt, braucht es ab und zu einen Ruck zur Hilfsbereitschaft. Auch wenn Sie meinen, Sie hätten es mit einem Esel zutun.
  • Bleiben Sie neugierig. Hinter einer Nummer, wie zum Beispiel des aktuellen 1. August-Abzeichen, gibt es vielleicht einiges zu entdecken. Die Neugier ist eine treibende Feder zur Erweiterung unserer kulturellen Vielfalt. Bereits Albert Einstein sagte: «Ich habe keine Begabung, sondern bin nur leidenschaftlich neugierig.»

Ja, bleiben Sie leidenschaftlich, wenn es um unsere Grundwerte geht: Freiheit, Solidarität, Nachhaltigkeit und Wohlfahrt. Nutzen Sie respektvoll unsere Mittel der Demokratie und übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Handeln.

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