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Christina Bachmann-Roth – Nationalfeiertag Alterszentrum Bifang in Wohlen

1. August 2023

Heute beim Brunch habt ihr von meinem Käse gegessen. Mir wurde gesagt, ich solle dann bei der Festrede keinen Käse erzählen. Selbstverständlich werde ich Käse erzählen: Schweizerisches, Ehrliches, Bodenständiges und Wertvolles. Es gibt nichts Besseres als Käse für eine 1. August-Rede.

Das Wichtigste am Käse ist sein Alter. Es macht einen grossen Unterschied, ob man einen milden jungen oder alten reifen Käse geniesst. Heute feiern wir das Alter. Das Alter der Bewohnerinnen und Bewohner im Bifang und das Alter der Schweiz. Die Schweiz wird heute 732 Jahre alt. Ich weiss, dass die älteste Bewohnerin 102 Jahre alt ist. Ein schönes hohes Alter und doch klein im Vergleich zur Schweiz. Und wenn ich meine 39 Jahre daneben stelle, dann ist das fast nicht der Rede wert. Es ist doch so: das Alter ist relativ. Wenn wir unseren Beitrag zur Geschichte der Schweiz betrachten, macht das demütig und ehrfürchtig. Denn unser Beitrag ist relativ klein. Gleichzeitig macht es dankbar, weil wir Teil sein dürfen der reichen Geschichte der Schweiz. Und ja: es darf uns gelassen machen. Wir dürfen Fehler machen. Die Geschicke der Schweiz hängen nicht an uns persönlich. Und dennoch leisten wir mit unserem Engagement einen wichtigen Beitrag im Leben Einzelner.

Das möchte ich aufzeigen am Beispiel von Generationen aus meiner Familie.  Da ist Emma, meine Grossmutter. Eine fröhliche starke Frau. Sie hatte in ihrem Leben nicht viel zu sagen. Für eine Tochter eines Bergbauern in Andermatt, geboren 1936 war das so. Sie wollte Schneiderin werden, musste aber daheim mitarbeiten. Bis sie einen Mann fand, Kinder hatte, für Haus und Stall sorgte und in der Nacht – wenn alle schliefen – da konnte sie nähen. Ihr Platz im Leben wurde ihr zugewiesen.

Bei mir ist das anders. Ich habe eine Ausbildung abgeschlossen, ich habe eine Familie mit 4 Dreikäsehochs und kann eine berufliche Karriere verfolgen, darf mich politisch engagieren und lebe in einer sicheren Schweiz in Freiheit.

Ich hatte andere Voraussetzungen als meine Grossmutter und auch als meine Mutter, welche zwar das Stimmrecht, aber keinen einzigen Tag Mutterschaftsurlaub bekam. Dass ich heute dastehe und das Leben habe, das ich lebe, habe ich euch zu verdanken. Den Generationen meiner Grossmutter und Mutter. Euch allen. Euer Engagement hat mein Leben verändert. Ich ernte, was ihr gesät habt. Und ich sage euch, diese Früchte sind gut! Ihr habt euer Leben lang gearbeitet – unter ganz anderen Bedingungen. Ihr wisst noch, was das alte Sprichwort bedeutet: Käse ist das Gold der Armen.

Jetzt müsst ihr nicht mehr leisten, ihr dürft! Jetzt müssen und dürfen und wollen wir für euch sorgen und von euch lernen. Diese Solidarität unter Generationen gehört zur Geschichte der Schweiz. Ja, unsere ganze Altersvorsorge ist auf dem Prinzip der Generationensolidarität aufgebaut. Wir tragen uns gegenseitig – Die Erwerbstätigen finanzieren die Pensionierten, Grosseltern schauen zur ihren Grosskindern und viele Angehörige pflege ihre gealterten Eltern und sind heute hier gemeinsam am Feiern!

Diese Solidarität wurde auch sichtbar während der Corona Pandemie. Nachbarn haben sich gegenseitig geholfen und man hat versucht, ältere und verletzliche Menschen zu schützen. Leider wart ihr hier die Leidtragenden. Ich war im Alterszentrum bei meiner Grossmutter in der Quarantäne und durfte sie begleiten bis zum Tod. Es war schrecklich traurig und emotional anstrengend – vor allem auch für die Mitarbeitenden im Alterszentrum. Ihr habt das einfach fantastisch gemacht und wir haben es überstanden. Die Politik hat in Unsicherheit entschieden und ihr wart die Leidtragenden. Worüber ich mich aber sehr freue, ist, dass die Schweiz es geschafft hat, die Krise aufzuarbeiten. Alle wurden einbezogen. Wohl in keinem anderen Land wurde über ein Covid Gesetz abgestimmt. Und wir haben das 3 Mal gemacht. Die «Verlierer» werden einbezogen. Genau so lehrt es uns auch die Geschichte, als nach dem letzten Bürgerkrieg der Schweiz auch die Verliererkantone zwei Ständeratssitze erhalten haben. Alle gleich, alle einbezogen!

Was heisst es denn jetzt konkret, wie wir uns für euch politisch engagieren wollen:

  1. Der Demokratie und ihren Institutionen Sorge tragen, damit alle Stimmen gehört und die Bedürfnisse wahrgenommen werden.
  2. Wir sind verantwortlich, dass die Pflege und Sorgewirtschaft funktioniert. Es ist prekär und wird uns in Zukunft stark beschäftigen. Wir haben zu wenig Menschen, welche sich in der Pflege einsetzen und die Arbeitsbedingungen in diesem schönen Beruf sind oft noch ungenügend. Ebenfalls sollten Personen, welche für ältere Familienangehörige sorgen, entschädigt werden.
  3. Und wir brauchen eine Altersvorsorge, die euch trägt. Die AHV gleicht ja einem Emmentalerkäse. Ich bin froh, dass dank der letzten Reform, einige Löcher gestopft worden sind. Aber es braucht nun eine langfristige visionäre Reform unserer drei Säulen. Damit auch die Jungen noch eine Rente haben.

Auch unsere Kinder, meine älteste Tochter Emma, haben wir nach meiner Grossmutter benannt, sollen eine gute Zukunft haben. Sie wird in einer ganz anderen Welt aufwachsen, als ihr und ich. Ihre Welt wird digitaler. Künstliche Intelligenz, Roboter werden gewisse Arbeiten übernehmen und neue Berufsfelder entstehen. Die Welt ist verlinkt, klein. Sie wird erleben, dass die Sterberate höher ist als die Geburtsrate. Das bringt Herausforderungen in der Zuwanderung und in der Altersvorsorge mit sich und sie wird wohl in einer unsichereren Zeit leben. Sie erlebt schon in ihrer Kindheit einen Krieg in Europa und sie wird die Folgen der Klimaerwärmung direkt und indirekt spüren und sich dem anpassen müssen.

Es braucht also gute politische Lösungen, damit wir ihr einmal keinen «Hafechäs» überlassen. Wie ihr für mich, säe ich für sie. Eure Arbeit geht weiter von Generation zu Generation. Unser Engagement ist wichtig und wie sollen wir das erreichen? Orientieren wir uns wieder an der Geschichte der Schweiz. Lasst uns keine Spaltung zulassen. Lasst uns gemeinsam an Lösungen arbeiten und alle mitnehmen – auch die Leisen. In den Medien und in der Öffentlichkeit hat meistens der recht, der am lautesten schreit. Die Extremforderungen werden geteilt und gepusht. Aber die Schweiz ist kein Bazar der extremen Ideen. Die Schweiz braucht eine starke prägende Mitte, welche alles zusammenhält. Wir wollen solidarisch sein und Herz zeigen. Gleichzeitig unseren Verstand brauchen, weil wir wissen, dass wir alles zuerst verdienen müssen, was wir umverteilen und wir brauchen Lösungen, die umsetzbar und realistisch sind. Und wir brauchen neben allem Engagement eine grosse Gelassenheit.

Denn was bleibt am Schluss? Es ist die Hoffnung. Hoffnung auf eine gute Zukunft – ob die kurz oder lang ist, spielt keine Rolle und wissen wir ja sowieso nicht. Die Hoffnung auf ein Sterben in Frieden und die Hoffnung, dass danach für immer alles gut ist. Darum schliesse ich mit Käse. Cheese. Say Cheese. Lasst uns einstimmen in gegenseitiges Lachen. Respektvoll im Umgang miteinander, alle zusammen und fröhlich. Cheese.

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