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Andreas Meier – Nationalfeiertag in Würenlingen

1. August 2023

Auch wenn unser Dorf dafür bekannt ist, dass wir Feste feiern können, würde nichts passieren, wenn nicht angepackt wird. Allen Helfenden, dem Männerchor und der Musikgesellschaft danke ich ganz herzlich!

Eine Umfrage des Kabarettisten Simon Enzler bei rund 30 Kindern, was den am 1. August gefeiert werde, hat bemerkenswerte Antworten gegeben:

„Wir feiern den 1. August – weil der Vater bräteln tut.“ oder die Gegenfrage: „Wann sollen wir denn sonst unsere Raketen ablassen?“

Liebe Anwesende, sie wissen es natürlich. Der heutige Tag wurde als nationaler Feiertag vor etwas über 100 Jahren, 1891, festgelegt.

Nach den phantasievollen Recherchen von Simon Enzler aber soll am 26. Juli 1291 ein Walter Fürst eine Eilmeldung (heute würde man sagen eine E-Mail) an Werner Stauffacher geschickt haben, mit dem Vorschlag, man möge auch noch den Arnold vom Melchtal anfragen für ein Treffen am 28. Juli auf dem Rütli, zwecks Gründung der Schweiz. Der Stauffacher hat dann zurückgeschrieben, er könne am 28. Juli nicht, er müsse dann unbedingt noch das „Obligatorische Schiessen“, aber am 1. August hätte er laut seiner Agenda noch nichts vor. So sei es recht zufällig, dass wir am 1. August unseren Nationalfeiertag feiern.

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Herzlichen Dank für die Einladung. Hier in meiner Heimatgemeinde vor Ihnen stehen zu dürfen ist mir hier eine ganz besondere Freude und Ehre!

Vor 20 Jahren wurde Würenlingen zur 200 Jahr-Feier unseres Kantons gefragt, was es sich vom Kanton in den kommenden 25 Jahren wünsche.

Zusammengefasst lautete die Antwort: Der Kanton solle sich besser vermarkten, die Randregionen besser einbeziehen und grundsätzlich soll er uns nicht dreinreden. Zitat: «Die Kompetenzdelegation an die Gemeinden muss intensiviert werden.»

Die Antwort von Würenlingen auf die Frage, wie sich die Gemeinde in den nächsten 25 Jahren sehe, in Stichworten: Förderung der Wohnqualität – ein jederzeit überblickbares Wachstum – Förderung des Arbeitsplatzes – Einkaufsort – internationaler Treffpunkt für Forschung und Austausch,

wobei die ganze Region an unserer Entwicklung teilhaben soll.

«Würenlingen, das schöngewachsene Dorf, soll erhalten bleiben. Ziel all unserer Bemühungen soll es sein, dass sich alle Einwohnerinnen und Einwohner auch in Zukunft in Würenlingen rund um wohl fühlen.»

1.-August-Reden haben es an sich, dass man in der Vergangenheit ausholt um auf das Heute und die Zukunft zu schliessen.

Was hätte Würenlingen 1803 an die neu eingesetzte Regierung des frisch gegründeten Kanton Aargau geschrieben?  Unser Dorf hatte gerade 5 Jahre Krieg überstanden. Im März 1798 wurde Würenlingen von den französischen Truppen eingenommen. Die kampflose Einnahme war möglich, weil revolutionäres Gedankengut auch in der Eidgenossenschaft bereits weit verbreitet war. Die Gewährleistung von Grundrechten für alle Bürger, gegen die Sonderrechte von Adel und Klerus, für die Aufklärungsideale, darunter die Forderung nach Vernunft, Wissenschaft, Toleranz und individuellen Freiheitsrechten wurde von vielen längst ersehnt.

Es gab auch bei uns Menschen, die nicht die gleichen Rechte hatten. Die Geschichte der drei Brüder Senn, wie sie Fridolin Meier in seinem Buch über Würenlingen beschreibt, sind exemplarisch. Ihnen wurden diverse Rechte vorenthalten, weil per Beschluss einer Tagsatzung zu Baden das Burgerrecht eines Dorfes nur erhält, wer in dem Dorf gezeugt wurde.

Die drei Brüder blieben sogenannte Hintersässen und sie sollen sich das Wahlrecht etc. gar nicht anmassen, sondern ruhig und still leben. Die Idee von „Liberté, Egalité, Fraternité“, also Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit fand auch hier seine «Sansculottes», also ihre Anhänger.

 

1799 bildete das untere Aaretal die Frontlinie im Krieg zwischen Frankreich und Österreich-Russland. Die österreichischen Besatzer waren sehr unbeliebt. Am meisten gehasst hat man jedoch die Russen, die ganz in der Nähe des Dorfes, innerhalb der Linde, ein Lager aufgeschlagen hatten. Die Würenlinger begegneten ihnen mit Verachtung und grüssten sie nicht untertänig. Das ärgerte die kosakischen Reiter. Ihr Oberst liess im Dorfe verkünden: «Jedermann hat die Kosaken freundlich zu grüssen und dabei den Hut abzuziehen, sonst wird ihm dieser zur Strafe an den Kopf genagelt.». Man traute diesen rohen Soldaten durchaus zu, ihre Drohung umzusetzen. Der Pfarrer und der Lehrer gingen heimlich von Haus zu Haus forderten alle auf, ja keinen Hut mehr zu tragen.

Die Russen und Österreicher wurden wieder vertrieben und 1803 übergab Napoleon, ganz ohne Volksabstimmung, die sog. «Vermittlungsakte» (frz. Acte de médiation), die alle neuen Kantonsverfassungen und die Bundesverfassung enthielt. Der Kanton Aargau war beschlossen.

Und nun, was hat sich Würenlingen 1803 vom frisch gegründeten Kanton gewünscht? Ich weiss es nicht aber ich vermute:

Erstens, jede erdenkliche Hilfe in dieser bitteren Armut und

Zweitens, wohl das gleiche wie 2003. Der Kanton solle sich auf seine Kerngeschäfte konzentrieren – und grundsätzlich soll er uns in Würenlingen nicht dreinreden.

In der Zeit der sog. Mediation, von 1803 bis 1813, war die Schweiz noch immer ein französischer Vasallenstaat. In den bernischen Untertanengebieten, wie in Aarau und im Waadtland, jubelten man noch immer Napoleon und der Revolution zu – «Vive l’empereur!» Die Aarauer konnten kaum Französisch und so riefen sie einfach etwas, das ähnlich tönte – «pfiffe Lampenöl», «pfiffe Lampenöl» heisst es in einem alten Lesebuch.

1813 wurde Frankreich in der Völkerschlacht von Leibzig geschlagen und es kamen nochmals schlimme Tage auf uns zu, als eine Armee von 200 000 Österreichern die Franzosen zurückdrängten und auf breiter Front den Rhein überquerte. Das schlimmste dabei waren die zahllosen Typhus-Kranken und die Maul- und Klauenseuche, die dadurch eingeführt wurde.

In Klingnau lagen im Februar 1814 über 2500 kranke Österreicher mit der schlimmen Durchfallerkrankung in Lazaretten. Über 3000 junge Soldaten, aber auch Einheimische, starben daran.

Am Wienerkongress 1815 wurde Europa neu geordnet. Es wurde entschieden, dass die Schweiz neutral sein müsse. Die Neutralität wurde der Schweiz von den Siegermächten verordnet, weil sie nicht in der Lage sei, die nötige Stabilität zwischen den Mächten zu gewährleisten. Die Schweiz hatte sich damit arrangiert. Die Neutralität kam schliesslich allen gelegen. Unsere Vorfahren hatten vor allem den Wunsch, niemals mehr durch fremde Heere mit Krankheiten für Mensch und Tier angesteckt zu werden.

In der Verfassung der Schweiz ist die Neutralität tatsächlich bis heute nicht explizit festgeschrieben, höchstens implizit umschrieben.

Die Bedeutung und Bewertung unserer Neutralität ist, gerade in Bezug zum Ukraine-Krieg, wieder ein intensiv diskutiertes Thema.

Als Mitglied der sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats und besonders in der kleinen 9-köpfigen Sonderkommission, zur Beratung des Kriegsmaterialgesetzes, trifft mich die Definition von unserer Neutralität.

Befreundete Länder haben uns angefragt, Kriegsmaterial aus Schweizer Produktion an die Ukraine weitergeben zu dürfen. Die Schweiz hat immer abgelehnt. Diese Haltung wird nicht verstanden und uns selber ist es in der Situation auch nicht mehr wohl. Wir suchen in unserer Kommission nach Möglichkeiten die Wiederausfuhren von Kriegsmaterial zu genehmigen, ohne dabei Neutralitätsrecht zu verletzen.

Bis spätestens zur Wintersession wollen wir uns in unserer Sonderkommission einigen und einen Entwurf zum Kriegsmaterialgesetz vorlegen.

Gemäss Experten ist das Wiederausfuhrregime Menschenrechtspolitik, nicht Neutralitätsrecht. Es ist punktuell abänderbar. Die Katastrophe des Ukraine-Kriegs ist ein Ausnahmefall mit einem klaren Aggressor. Dieser Krieg kann nicht alleine Massstab sein für künftige Weichenstellungen.

Links wie rechts haben die Tendenz zu mystifizieren. Die Neutralität ist typisch dafür und steht zwangsläufig mit der Realität in Konflikt.

Was heisst neutral? Die Neutralität ist keine reine Eigendefinition, sie muss anerkannt werden und diese Glaubwürdigkeit kann sich ändern. Man kann niemals einfach sagen, ‚wir sind neutral und fertig‘. Per se heisst das eigentlich nichts.

Für unser Land gibt es aber weiterhin Raum für eine militärisch neutrale Zukunft. Die „Nischenstrategie“ der Schweiz als neutraler Staat kann aber auf Dauer – insbesondere bei unseren Partnerländern – nur funktionieren, wenn wir als ein kooperativer moderner Staat gesehen werden, der sein Verhältnis zu Europa klärt und einen angemessenen Beitrag an die Friedensförderung leistet.

Ich glaube, wir dürfen unsere Hüte wieder aufsetzen. Wir sind souverän, dabei freundlich zu den gerechten Menschen dieser Welt. Wir dürfen die guten Dienste erwähnen, z.B. die drei Genfer Institutionen; das Zentrum für Sicherheitspolitik, das Zentrum für humanitäre Minenräumung und das Zentrum für die Governance des Sicherheitssektors und auch unseren Einsatz für die UNO-Mission KFOR im Kosovo.

Gute Beziehungen pflegen, offen und freundlich sein für eine gute internationale Nachbarschaft ist wichtig. Sie ist auch wirtschaftlich wichtig. Transregionalen Vernetzungen in die ganze Welt hinaus sind unabdingbar für Forschung und Innovation. Durch das Hightech Zentrum und speziell durch das PSI wird diese Vernetzung zur Chance.

In unserer ersten Bundesverfassung von 1874 wurde die Niederlassungsfreiheit garantiert. Sie hat auch mit den umliegenden Staaten gegolten, sozusagen das Pendant zu den heutigen «Bilateralen». Ausländer durften bis zum ersten Weltkrieg praktisch ohne administrative Hürden in die Schweiz einwandern, arbeiten und einen Betrieb gründen.

Kaspar Winkler, Maurer, wanderte aus dem Vorarlberg ein und legte den Grundstein für die Sika. Die Brüder Givaudan kamen aus Frankreich und gründeten ihren Aroma-Weltkonzern, die Herren Brown und Boveri kamen, Fritz Hoffmann-La Roche, Henri Nestlé, Nicolas G. Hayek und viele weitere.

Im Juni dieses Jahres hat die Konferenz der Kantonsregierungen und im speziellen die Nordwestschweizer Regierungskonferenz, mit der «Erklärung von Lenzburg» festgehalten, dass sich die Schweiz zu sehr isoliert und den Bundesrat aufgefordert, die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU und der Welt offener und auf eine solidere Grundlage zu stellen.

Komplementäre Stärken finden zusammen, wo Werte geteilt werden und Vertrauen entsteht. Gehen wir auf Menschen zu, die hier forschen, arbeiten oder auch Zuflucht suchen. Pflegen wir bewusst Gastfreundschaft. So entstehen Netzwerke in die ganze Welt.

Es bleibt wichtig, dass wir Freiheit, Solidarität und Verantwortung pflegen. Im Kern sind es die Werte vom Genfer Schriftsteller und Wegbereiter der Französischen Revolution, Jean-Jacques Rousseau, die er in seinen staatstheoretischen Schriften beschreibt. Eigenverantwortlichkeit – bei sich persönlich, bei der Gemeinde, wie bei Kanton und Bund ist die Voraussetzung. Egoistische exzessive Managergehälter und Boni zerstören diese Kultur und schweizerischen Werte. Verfehlungen, wie im Beispiel der Credit Suisse, dürfen wir nicht mehr hinnehmen.

Sie führen zu einer öffentlichen Empörung und nähren die Forderung nach strengeren Regulierungen.

So nicht! Sonst hören wir wieder Revolutionäre rufen: «Pfiffe Lampenöl! – Pfiffe Lampenöl!»

Das Parlament feiert den 175. Geburtstag unseres Bundestaats. Dabei ist eines klar; es ist unmöglich alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass wir der Zeit angepasst handeln. Würenlingen hat das immer begriffen: «Würenlingen, das schöngewachsene Dorf, soll erhalten bleiben. Und alle Einwohnerinnen und Einwohner sollen sich auch in Zukunft in Würenlingen rund um wohl fühlen.»

Als Winzer handle ich lokal. Ich glaube bei der Pflege der Rebe, dass sich die Arbeit und das Engagement lohnt und hoffe natürlich, dass auf gute internationale Freundschaften immer mit einem feinen lokalen Wein angestossen wird.

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