Andreas Meier: 1. August-Rede in Jonen
1. August 2025
Herzlichen Dank für die Einladung. Ihre Einladung gab mir die Gelegenheit, mich mit Ihrer Gemeinde – eine von 197 im Kanton – vertieft zu befassen.
Die Anfahrt dauerte fast eine Stunde. Geschichtlich und kulturell stehen wir uns trotzdem nah. Auf der Fahrt hierher muss man die alte Grafschaft Baden, die Landschaft unserer gemeinsamen Geschichte, nicht verlassen.
Jonen ist natürlich da, wo der Jonenbach in die Reuss mündet. Der Ortsname ist Programm, er hat einen alemannisch Ursprung. Das althochdeutsche Wort „jon“ oder „jaun“ steht für rauschen, strömen. Das passt zu Jonen und Jonenbach – und ist typisch für Fluss-Ortsnamen.
Heute ist das Dorf ist festlich geschmückt, mit Jonerfahnen, genauso wie beim Aargauerfahnen – mit drei Sternen – und mit Schweizer Fahnen – es ist 1. August. Eine Umfrage des Kabarettisten Simon Enzler bei rund 30 Kindern, was den am 1. August gefeiert werde, hat bemerkenswerte Antworten gegeben: „Wir feiern den 1. August – weil der Vater bräteln tut.“ oder die Gegenfrage: „Wann sollen wir denn sonst unsere Raketen ablassen?“
Sie wissen es natürlich. Der heutige Tag ist unser Nationalfeiertag. Er wurde 1891 festgelegt. Arbeitsfrei ist er seit 1993, dank einer Volksinitiative mit 83,8 % Zustimmung – bis heute den Rekord.
Und warum wurde gerade der 1. August gewählt, wenn alle in den Ferien sind? Nach den witzig-phantasievollen Recherchen von Simon Enzler soll am 26. Juli 1291 ein Walter Fürst eine Eilmeldung – heute würde man sagen eine E-Mail – an Werner Stauffacher geschickt haben, mit dem Vorschlag, man möge auch noch den Arnold vom Melchtal anfragen – für ein Treffen am 28. Juli auf dem Rütli, zwecks Gründung der Schweiz. Der Stauffacher hat zurückgeschrieben, er könne am 28. Juli nicht, er müsse dann unbedingt noch das „Obligatorische Schiessen“, aber am 1. August hätte er laut seiner Agenda noch nichts vor. So sei es recht zufällig, dass wir am 1. August unseren Nationalfeiertag feiern. Und seither gibt an diesem Tag Reden und man hofft im ganzen Land, dass diese 1. August-Reden 1. kurz sind und 2. bald vorbei sind. Eines davon bringe ich hoffentlich hin.
Bei meinen Recherchen zu Jonen bin irgendwann auch auf die Jahresrechnung 2024 gestossen. Ich war beeindruckt – die Gemeinde Jonen hat geliefert. Und zwar richtig. Das operative Ergebnis überschiesst das Budget um über eine Million und so liegt Jonen mit 4.1 Mio im Plus. Wäre Jonen eine AG, würden die Aktionäre jetzt jubeln. Sie sind reicher, als Sie denken. Vielleicht sollte man den Gemeinderat dem Staatsekretariat für Wirtschaft, dem SECO, ausleihen.
Von der erfolgreichen Gemeinderechnung – zur grossen Rechnung in Bern. Während Sie sich die Frage stellen dürfen – was machen mit diesem Erfolg, erlebe ich beim Bund leider eine weniger gut gefüllte Kasse. Kritiker sagen, das Parlament habe halt mehr Fantasie als Geld.
Mit der Schuldenbremse einerseits und den Kosten für die Armee und dem zusätzlichen Aufwand für die AHV geht es nicht ohne schmerzliche Kürzungen. Im Entlastungspaket der Finanzdirektorin sind viele nicht gesetzlich gebundene Ausgaben von Kürzungen betroffen, Meine Sachpolitische Kommission WBK – für Wissenschaft, Bildung und Kultur, ist hauptbetroffen. Es schmerzt mich fast körperlich, wenn Kürzungen bei der Forschung, Bildung, Innovation, oder bei Kultur, Sport und der Jugendförderung hingenommen werden müssen.
Mit einem Blick auf die geopolitischen Verwerfungen ist unsere Budgetanpassung für Rüstung und Militär verständlich. Wir müssen wieder aufholen, was wir seit dem Mauerfall weniger ausgeben mussten. Wir – auch ich – haben keine akute Bedrohung mehr gesehen, haben die sogenannte Friedensdividende genossen.
Heute leben wir in einer sogenannt „multipolaren Weltordnung im Umbruch“ oder sogar in «einer neuen Ära der Konfrontation“. Dies betrifft auch unser Land.
Mit «Polarität» wird in der Politik internationalen Beziehungen und die Verteilung von Macht auf Staaten beschrieben. Im «Kalten Krieg» war die Welt bipolar, also der Westen und der Osten. Nach der Wende war die sie unipolar, also nur eine Macht, die übermächtige USA.
Politikwissenschaftler gehen davon aus, dass diese unipolare Weltordnung beendet ist und eine neu, von fünf Großmächten dominierte Weltordnung, am Entstehen ist; mit den USA, der EU, Russland, China und Indien. Unsicher sei die Rolle der EU, die von ihrer internen Einigkeit abhänge – wenn diese misslinge, steige die EU aus der Großmacht-Rolle ab. – Und genau diese Einigkeit wird gestört durch neonationalistische Strömungen, wie beispielsweise die AfD, le Pen oder Orban. Russland mischt da kräftig mit. Mit Beeinflussung auf den sozialen Medien und einer ausgeweiteten Spionagetätigkeit.
Auch wenn die Schweiz neutral ist, ist sie nicht unbeteiligt. Unsere Stabilität und unsere Sicherheit sind eingebettet in ein Weltgefüge, das ins Wanken geraten ist. Über unsere Neutralität müssen wir reden, denn sie schützt uns nicht vor den Folgen globaler, multipolaren Krisen – und sie entbindet uns sowieso nicht von der moralischen Pflicht, im Rahmen unserer Möglichkeiten zur Stabilisierung beizutragen. Die Neutralität der Schweiz hat tiefe Wurzeln: 1815 in den «Wiener Verträgen» anerkannt, dann 1907 durch die «Haager- Abkommen» konkretisiert und seit 1946 mit der «UNO-Charta» verrechtlicht, ist sie eine aktive Neutralität im Dienst des Friedens und des Völkerrechts.
Laut Bundesverfassung treffen der Bundesrat und die Bundesversammlung Massnahmen zur Wahrung der Neutralität. Die Autoren der Verfassung haben die Neutralität bewusst weder im Zweckartikel noch in den aussenpolitischen Grundsätzen verankert, denn sie ist ein Mittel zum Zweck.
Denn was heisst neutral? Die Neutralität ist keine reine Eigendefinition, sie muss anerkannt werden und diese Glaubwürdigkeit kann sich ändern. Man kann niemals einfach sagen, ‚wir sind neutral und fertig‘. Per se heisst das eigentlich nichts.
Wer sich heraushält, übernimmt nicht weniger Verantwortung – sondern trägt sie später, oft schwerer. Auch in einer instabilen Welt bleibt unsere Aufgabe: Nicht nur reagieren, sondern richtig handeln
Wer von Ordnung profitiert, kann sich ihrer Verteidigung nicht entziehen. Neutralität ist kein Vorwand – und Gleichgültigkeit fördert keinen Frieden. Bei Unrecht müssen wir Haltung zeigen.
Die Schweiz prüft aktuell eine gültig eingereichte Volksinitiative mit dem Titel „Wahrung der schweizerischen Neutralität“, auch Neutralitätsinitiative bezeichnet. Diese Initiative will den bewährten Kurs radikal ändern. Sie verlangt starre Neutralität um jeden Preis – selbst bei klaren Völkerrechtsbrüchen. Sanktionen gegen Aggressoren wären verboten, Solidarität mit Partnerstaaten erschwert. Bietet eine solche Abschottung den gewünschten Schutz? Tragen wir mit Verweigerung noch Verantwortung? Braucht die Schweiz nicht eher den bewährten Spielraum für kluge, verantwortungsvolle Aussenpolitik statt einer Festschreibung von Untätigkeit?
Wie die Geschichte zeigt, handeln Bundesrat und Parlament in der Aussenpolitik verantwortungsvoll: Sie wägen Interessen sorgfältig ab und entscheiden im Dialog mit der Welt. Zugegeben, die Schweiz reagiert nicht immer schnell – doch dieser bedächtige, demokratisch legitimierte Weg hat sich bewährt. Neutralität verlangt Verantwortung, nicht Vorschriften.
Ich wollte ja eigentlich nur zwei Sätze sagen – jetzt sind es halt ein paar mehr.
Liebe Jonerinnen und Joner – Ihre Gemeinde zeigt eindrücklich, dass Verantwortung und Weitsicht kein Zufall sind. Jonen liegt nahe bei Zürich, Zug und Bremgarten, ist umgeben von reizvollen Naherholungsgebieten zwischen Reuss und Auenwäldern. Sie haben ihre Rolle erkannt und zeigen, wie mit einer klugen dynamischen Strategie Zukunft gestalten kann und man damit für Jung, Alt, Gross und Klein man hohe Wohn- und Lebensqualität erreicht. Genau diese Haltung braucht auch unser Land. Nicht Starrheit, sondern Sorgfalt. Nicht Abgrenzung, sondern Augenmass. Nicht Angst vor der Welt – sondern der Mut, ihr mit Haltung zu begegnen. Und wenn wir uns dieser Haltung bewusst sind, gelingt vieles – auch dort, wo die Schweiz sichtbar wird: in Europa, in der Welt, im Dialog. Ob beim Eurovision Song Contest, bei der Frauen-EM oder bei den Friedensgesprächen auf dem Bürgenstock: Die Schweiz hat in jüngster Zeit eindrücklich gezeigt, was möglich wird, wenn Zusammenarbeit, Respekt und Verlässlichkeit das Fundament bilden.
Ich wünsche Ihnen einen frohen Bundesfeiertag, schöne Begegnungen – und vielleicht auch ein Stück Wurst vom „Vater, der bräteln tut“. Und einem Glas Aargauer Wein. Besten Dank fürs Zuhören.