Severine Jegge: 1. August-Rede in Fislisbach
1. August 2025
Ich begrüsse Sie alle ganz herzlich und freue mich sehr, heute hier in Fislisbach zu sein. Es ist mir eine grosse Ehre, die diesjährige Festrede zum 1. August halten zu dürfen. Für mich ist es das erste Mal an diesem besonderen Tag – eine Aufgabe, die ich mit viel Freude und auch ein bisschen Respekt wahrnehme.
Die Ehre, heute hier zu stehen, kommt nicht von ungefähr. Seit diesem Jahr bin ich Mitglied im Grossen Rat für die Partei „Die Mitte“ – eine Aufgabe, die ich mit grossem Engagement ausübe. Und noch mehr freut es mich, dass meine Wurzeln hier in Fislisbach liegen. Ich bin an der Zelglistrasse aufgewachsen, wo auch heute noch meine Eltern wohnen. Ich habe hier die Primarschule besucht, bevor ich nach Mellingen in die Bezirksschule gegangen bin. Auch wenn ich mit 23 von hier wegzog, sind die Verbindungen zu Fislisbach nie ganz abgerissen: Mein Mann Patrick und ich haben vor 22 Jahren hier geheiratet und Patrick ist auch immer noch aktiv im FC Fislisbach, mittlerweile bei den Senioren, von der Alterskategorie rede ich jetzt nicht😊Ihre Mannschaft hat Ende Mai den Aargauer Cup-Sieg vom letzten Jahr verteidigt – eine super Leistung und herzliche Gratulation dazu! Und obwohl ich den Volg in Oberrohrdorf sehr schätze, bin ich doch regelmässige Kundin des grosszügigen Einkaufsangebots in Fislisbach und schätze auch die hiesige Gastronomie, nachdem wir in Oberrohrdorf zurzeit leider kein richtiges Speiserestaurant mehr haben.
Der Hiltiberg, wo ich aufgewachsen bin, scheint ein Entstehungsort von politischem Engagement zu sein. Es ist auffallend, dass neben mir auch Frau Vizeammann Simone Bertschi und Gemeinderat Andreas Sommer aus diesem Quartier kommen. Tatsächlich sind wir alle im Umkreis von nur 20 Metern aufgewachsen – eine kleine, vertraute Welt. Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich Simone als Kind als Babysitterin gehütet habe. Mit Andreas und Christoph Schott bin ich zur Schule gegangen, auch wenn wir nicht in der gleichen Klasse waren. Und nicht zuletzt ist Gemeindeschreiber Donat Blunschi ebenfalls ein Oberrohrdorfer. Diese Verbindungen machen das Ganze für mich noch persönlicher – es ist sozusagen ein Heimspiel, und ich freue mich umso mehr, heute hier reden zu dürfen.
Die Anfrage von Donat Blunschi Anfang Jahr hat mich sehr geehrt. Natürlich bin ich auch ein bisschen nervös geworden – was soll ich denn nur sagen? Soll ich einen Kommunikationsberater engagieren? Oder meine Rede von ChatGPT schreiben lassen? Letztlich wollte ich aber authentisch bleiben und mich so ausdrücken, wie ich bin. Also habe ich beides bleiben lassen.
In meiner Arbeit im Grossen Rat beschäftige ich mich neben den Sitzungen und vielen Repräsentationspflichten auch mit der Kommissionsarbeit. Ich bin Mitglied in der Einbürgerungskommission – oder, wie manche scherzhaft sagen, in der „Einsteigerkommission“. Das liegt daran, dass die Sitzungen überschaubar sind und der Aufwand nicht zu gross. Für mich ist das eine gute Gelegenheit, die Abläufe, die Leute und die Themen kennenzulernen. Jährlich werden etwa 2’000 Menschen eingebürgert – sie erhalten den begehrten Schweizer Pass und dürfen die Rechte und Pflichten unseres Landes wahrnehmen. Der 1. August ist für sie so dann auch ihr Nationalfeiertag.
Doch was bedeutet es eigentlich, ein echter Schweizer oder eine echte Schweizerin zu sein? Reicht der rote Pass oder das Beherrschen der Sprache? Ich denke, das ist nur ein Teil der Antwort. Ich glaube, es gibt viele Menschen mit Niederlassungsbewilligung, die in Vereinen aktiv sind, hier Familie und Freunde haben, ihre Ferien in der Schweiz verbringen und die Schweiz als ihre Heimat ansehen und sich aber nicht einbürgern lassen. Sei es, weil die Kosten oder die Hürden zu hoch sind, weil grundsätzlich kein Interesse besteht oder weil ihr Ursprungsland keine Doppelbürgerschaft erlaubt. Und genauso gibt es Menschen, die eingebürgert sind und trotzdem die Bräuche und Traditionen unseres Landes nicht pflegen. Das zeigt, dass die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft vielschichtig ist und nicht allein durch einen Pass oder das Beherrschen der Sprache definiert wird.
Der Wunsch, Schweizer oder Schweizerin zu werden, ist für jeden unterschiedlich. Für gewisse ist es eine logische Konsequenz, weil sie schon lange hier leben oder sogar hier geboren wurden. Für andere ist es eine bewusste Entscheidung, weil sie sich mit den Werten und der Kultur unseres Landes verbunden fühlen. Einige schätzen die Vorteile, die der Pass mit sich bringt, zum Beispiel bei Reisen oder bei Abstimmungen. Was alle verbindet, ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und das Gefühl, Teil dieser Gemeinschaft zu sein.
Und genau hier zeigt sich die besondere Stärke unseres Landes: die direkte Demokratie. In der Schweiz haben wir das Privileg, aktiv an politischen Entscheidungen teilzunehmen. Wir können mitbestimmen, was in unserer Gemeinde, in unserem Kanton oder auf Bundesebene passiert. Das ist ein einzigartiges Gut, das wir schätzen und pflegen sollten. Leider beobachten wir, dass immer mehr Menschen sich nicht für Politik interessieren und von ihrem Stimm- und Wahlrecht keinen Gebrauch machen. Das ist schade, denn wer nicht mitmacht, darf sich später auch nicht über die Entscheidungen beschweren.
Deshalb appelliere ich an Sie alle: Nutzen Sie Ihr Recht! Nehmen Sie an Abstimmungen und Wahlen teil! Es ist ein Privileg, das nicht überall auf der Welt selbstverständlich ist. Gerade die aktuelle Weltlage zeigt, was angerichtet werden kann, wenn Autokraten bestimmen, wie es im Land läuft. Besonders die jungen Menschen, die unsere Zukunft gestalten, sollten sich dieser Verantwortung bewusst sein. Ich habe kürzlich an einer Zusammenkunft des Aargauer Jugendparlaments teilgenommen, das wieder neuen Schwung erhalten soll. Es ist beeindruckend, zu sehen, wie engagiert gewisse Jugendliche ab 15 Jahren sind und wie sie sich politisch einbringen. Das zeigt, dass politisches Interesse und Engagement auch in jungen Jahren wachsen können, wenn man ihnen die richtigen Rahmenbedingungen bietet.
Auch finde ich es gut, dass die politische Bildung ein fester Bestandteil des heutigen Lehrplans ist. Es wäre schön, wenn die jungen Leute das Gelernte mitnehmen und ab 18 aktiv am politischen Leben teilnehmen. So können sie ihre Stimme nutzen, um Veränderungen zu bewirken und unsere Demokratie lebendig zu halten. Je früher sie sich mit politischen Themen auseinandersetzen, desto besser sind sie vorbereitet, um verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger zu werden.
Ich selbst bin nicht schon in Jugendjahren in die Politik eingestiegen, aber das Interesse ist schon früh da gewesen und ich habe mein Stimmrecht immer wahrgenommen. Mit Mitte zwanzig bin ich bei der CVP Wettingen beigetreten, wo ich ein paar Jahre im Vorstand mitgewirkt habe. Nach meinem Umzug mit der Familie nach Oberrohrdorf habe ich mich in der Schulpflege engagiert und seit fünf Jahren bin ich im Gemeinderat. Die Arbeit im Gemeinderat ist vielfältig und spannend. Es geht darum, unser Dorf lebenswert zu gestalten, Entscheidungen zu fällen, die uns alle betreffen. Für mich ist es wichtig, etwas bewegen zu können, nicht zu blockieren, sondern aktiv Lösungen zu suchen.
Bei der Arbeit in der Exekutive geht es um die Sache und das Gemeinderatskollegium schaut gemeinsam, dass man die bestmöglichen Lösungen findet. Mir ist bewusst, dass sich viele Leute schwer tun mit einem Bekennen zu einer Partei. Um politisches Engagement als Bürgerin oder Bürger aktiv ausleben zu können, muss man nicht unbedingt in einer Partei sein. Bestes Beispiel dafür ist Fislisbach mit den fünf parteilosen Gemeinderäten. Es zeigt, dass man auch ohne Partei viel bewirken kann. Man sagt ja auch, dass Gemeinderatswahlen Personenwahlen sind und es da nicht so auf die Parteizugehörigkeit ankommt.
Für eine Wahl in den Grossen Rat sollte man jedoch in einer Partei sein. Dementsprechend ist auch die Sitzordnung von links bis rechts klar den Parteien zugeordnet. Da kommt es stark auf die Parteizugehörigkeit an und man folgt vielmehr parteipolitischen und taktischen Überlegungen. In Aarau kann ich jetzt seit diesem Jahr bei der kantonalen Gesetzgebung mitwirken. Aber aufgrund vom derzeit herrschenden Kräfteverhältnis muss ich zugeben, bleibt es leider manchmal nur beim Versuch. Aber auch das ist Demokratie! Man gehört nicht immer zur Mehrheit, das heisst aber nicht, dass man sich deswegen nicht engagieren soll. Die Stimmen von allen sind wichtig und tragen zur Meinungsbildung bei. Wir sind Vertreter des Volkes und widerspiegeln auch die unterschiedlichen Volksmeinungen. Aber natürlich muss ich zugeben, dass es manchmal schon auch ein wenig frustrierend sein kann 😊
Vom Grossen Rat nochmals zurück zu den Eingebürgerten: Es freut mich besonders, wenn sie sich nach der Einbürgerung aktiv am politischen Leben beteiligen. Das zeigt, dass die Integration gelungen ist. Engagement in Vereinen, bei Wahlen oder in politischen Ämtern ist ein Zeichen dafür, dass man sich wirklich zugehörig fühlt.
Vielleicht geht es dann dem einen oder der anderen so wie meiner jungen Arbeitskollegin, die nach ihrer Einbürgerung voller Stolz die Stimmunterlagen ausgefüllt hatte, nachdem sie sich von einer Schweizer Freundin alles erklären lassen hat. Voller Freude und Erwartung brachte sie den Brief zur Post. Zu ihrer grossen Überraschung hat sie aber dann zwei Tage später das gleiche Couvert wieder in ihrem Briefkasten gehabt😊 Ich bin sicher, sie ist nicht die einzige, die den Stimmrechtsausweis jemals verkehrt ins Fenstercouvert gelegt hat. Frisch eingebürgert oder nicht😊
Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft in Zukunft wieder mehr auf Gemeinschaft setzt und nicht nur auf individuelle Interessen. Denn nur gemeinsam können wir unser Land stark und lebenswert gestalten. Es ist wichtig, dass wir uns gegenseitig unterstützen, aufeinander achten und zusammen an einer positiven Zukunft arbeiten.
Abschliessend möchte ich sagen, dass der 1. August für uns alle ein Tag der Erinnerung und des Zusammenhalts ist. Es ist ein Tag, an dem wir unsere Werte feiern – Freiheit, Demokratie, Solidarität und Toleranz. Lassen Sie uns diese Werte auch im Alltag leben, sei es im Gespräch mit Nachbarn, in Vereinen oder bei der Arbeit.
Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen schönen und besinnlichen 1. August. Möge dieser Tag uns alle daran erinnern, wie wertvoll unsere Gemeinschaft ist und wie wichtig es ist, gemeinsam für ein friedliches und gerechtes Miteinander einzustehen.
Herzlichen Dank!