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Kantonsweite Sicherstellung der Geburtshilfe unter medizinisch gesicherten Bedingungen

29. April 2025

Motion Harry Lütolf, Mitte, Wohlen (Sprecher), Franziska Stenico-Goldschmid, Mitte, Beinwil (Freiamt), Rita Brem-Ingold, Mitte, Oberwil-Lieli, Stefan Dietrich, SP, Bremgarten, vom 29. April 2025 betreffend kantonsweite Sicherstellung der Geburtshilfe unter medizinisch gesicherten Bedingungen

Text:
Der Regierungsrat wird beauftragt, den Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe BP (Basispaket) nur noch in Kombination mit dem Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe GEB1 (Grundversorgung Geburtshilfe) an ein Spital zu vergeben, wenn in der Region, in welcher dieses Spital gelegen ist, die Versorgungssicherheit mit Geburtshilfe unter medizinisch gesicherten Bedingungen nicht mehr gewährleistet ist.

Begründung:
Die vom Grossen Rat am 11. Juni 2024 beschlossene «Gesundheitspolitische Gesamtplanung (GGpl) 2030» (GR.23.274) sieht im Planungsbericht zur Spitalversorgung Akutsomatik in der Strategie 8.1 folgendes vor (Seite 17):

«8.1 Regionalspitalzentren erbringen in der Grundversorgung ein breites, interdisziplinäres stationäres und ambulantes Angebot.»

Der Kanton weist den Regionalspitalzentren also die Aufgabe von Grundversorgern zu. Zum Begriff der «stationären Grundversorgung» wird in § 2 Absatz 2 des kantonalen Spitalgesetzes vom 25. Februar 2003 (SpiG, SAR 331.200) folgendes ausgeführt:

«Die stationäre Grundversorgung beinhaltet die Abklärung, Behandlung und Pflege von Patientinnen und Patienten mit häufig auftretenden Krankheiten, Verunfallten und Schwangeren, die in der Regel ohne Einsatz aufwändiger technischer oder aufwändiger apparativer Mittel sowie spezialisierter Arbeitsteams erfolgen können.»

Welche Leistungen von Akutspitälern zur «stationären Grundversorgung» zählen, wird durch Gesetze oder Verordnungen nicht abschliessend definiert. Klar ist, dass die Grundversorgung ein sogenanntes «Basispaket» beinhaltet. Der Begriff «Basispaket» wird in der aktuellsten Spitalliste des Kantons Aargau für Akutsomatik verwendet (Leistungsgruppe BP)[1]. Mit Verweis auf § 2 Absatz 2 SpiG («[…] Behandlung und Pflege von […] Schwangeren […]») sollte auch die Geburtshilfe unter medizinisch gesicherten Bedingungen zur «stationären Grundversorgung» zählen (auch wenn hierfür separate Leistungsaufträge erteilt werden: Leistungsgruppe GEB1), zumal in der Grundversorgung alle Lebensbereiche abgedeckt werden sollten, wozu zweifellos auch Schwangerschaften einschliesslich Geburten zählen.

Dies muss umso mehr gelten, als ein wesentlicher Bestandteil des Basispakets (Leistungsgruppe BP) der Notfall ist, welcher 7 x 24 Stunden betrieben werden muss. Als Notfall sollte nämlich auch eine sogenannte Sturzgeburt bzw. eine überstürzte Geburt gelten. Solche Geburten sind nicht häufig, kommen aber überall und immer wieder vor. Zudem sollte als Notfall gelten, wenn es bei einer geplanten Hausgeburt oder bei einer geplanten Geburt in einem Geburtshaus zu Komplikationen kommt und deswegen die Verlegung in ein Spital notwendig wird. In all diesen Fällen muss es immer schnell gehen und eine Geburtshilfe unter medizinisch gesicherten Bedingungen (in einem Akutspital) sollte daher im gesamten Kanton innert «notwendiger Frist» erreichbar sein.

Unter «notwendiger Frist» sollte dasselbe verstanden werden wie bei allen Notfällen, bei welchen Rettungsdienste zum Einsatz kommen müssen. Hierzu wird im aktuellsten Aufgaben- und Finanzplan 2025–2028 im Aufgabenbereich 535 (Gesundheit) unter dem Ziel 535Z014/01 festgehalten, dass die Rettungsdienste im Kanton Aargau in 80 % aller Fälle in 15 Minuten nach Alarmeingang beim Patienten bzw. bei der Patientin sein müssen. Konsequenterweise müsste im Falle einer Sturzgeburt bzw. einer überstürzten Geburt oder einer geplanten Hausgeburt bzw. einer geplanten Geburt in einem Geburtshaus mit Komplikationen der aufgebotene Rettungsdienst wiederum im 15 Minuten bei der Geburtenabteilung eines Akutspitals eintreffen. Zusammen ergibt sich eine «notwendige Frist» von 30 Minuten, was sich mit den Anforderungen an die Erteilung von Leistungsaufträgen in der Leistungsgruppe «Grundversorgung Geburtshilfe» deckt (GEB1, Level 4.1: Facharzt-Verfügbarkeit in der Akutsomatik ≤ 30 Minuten Alarmierung/Geburtszeit)[2] und was allgemein noch als zumutbar betrachtet wird, wenn sich eine Schwangere selbstständig zu einer Geburtenabteilung eines Akutspitals begeben möchte bzw. begeben muss.

Aufgrund von bereits erfolgten oder angekündigten Schliessungen verschiedener Geburtenabteilungen in Akutspitälern im Kanton Aargau oder in angrenzenden Regionen (Spital Muri, Spital Menziken, Spital Zofingen, Spital Affoltern, AndreasKlinik in Cham) erscheint die Versorgungssicherheit mit Geburtshilfen unter medizinisch gesicherten Bedingungen (in einem Akutspital) nicht mehr im ganzen Kanton gewährleistet. Insbesondere nicht zu Stosszeiten mit hohem Verkehrsaufkommen. So ist es beispielsweise praktisch unmöglich, zu diesen Stosszeiten von etlichen Gemeinden im Freiamt in 30 Minuten die noch verbliebenen Geburtenabteilungen der Spitäler in Aarau, Baden, Luzern, Schlieren (Spital Limmattal), Zug oder Zürich zu erreichen.[3]

Diese unzureichende Versorgung im Bereich der Geburtshilfe kann im Einzelfall dramatische Folge haben und ist demnach auch im Hinblick auf den Verfassungsauftrag in § 41 der Kantonsverfassung vom 25. Juni 1980 (KV, SAR 110.000) nicht hinnehmbar.[4] Bekanntlich trifft den Kanton nach § 41 Absatz 1 und 2 KV eine Planungs- und Handlungspflicht. Zusammen mit den Gemeinden und Privaten hat der Kanton in allen Regionen des Aargaus die Grundversorgung sicherzustellen. Der Kanton kann sich dieser Pflicht nicht entziehen. Daraus folgt auch, dass die Leistungserbringer in den Regionen des Kantons nicht alleine darüber bestimmen können, ob die Versorgungssicherheit mit Angeboten der Grundversorgung in ihrer Region aufrechterhalten werden oder – aus welchen Gründen auch immer – nicht aufrechterhalten werden soll. Und wie bereits erörtert kann kein Zweifel bestehen, dass auch eine Geburtshilfe unter medizinisch gesicherten Bedingungen (in einem Akutspital) zur Grundversorgung zählt und in allen Regionen des Kantons sichergestellt werden muss.

Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass zumindest für jene Akutspitäler im Kanton Aargau, welche die Versorgungssicherheit im Bereich der Geburtshilfe (wieder) sicherstellen könnten, der Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe BP (Basispaket) nur in Kombination mit dem Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe GEB1 (Grundversorgung Geburtshilfe) vergeben werden darf. Nur so kann die Strategie 8.1 der «Gesundheitspolitische Gesamtplanung (GGpl) 2030» zuverlässig umgesetzt werden.

Davon betroffen ist sicher das Spital Muri im Freiamt (Bezirke Bremgarten und Muri), da dieses Spital auf Ende des laufenden Jahres seine Geburtenabteilung schliessen will und nach der Schliessung die Versorgungssicherheit mit Geburtshilfen unter medizinisch gesicherten Bedingungen (in einem Akutspital) im Freiamt aus den zuvor dargelegten Gründen nicht mehr gewährleistet ist.[5]

Für die übrigen sechs «Regionalspitalzentren» im Kanton Aargau (das Kantonsspital Aarau [KSA] und das Kantonsspital Baden [KSB] ausgenommen) mit erteiltem Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe BP (Basispaket) – nämlich das Gesundheitszentrum Fricktal mit Standorten in Laufenburg und Rheinfelden, die Hirslandenklinik Aarau, das Spital Leuggern, das Spital Menziken und das Spital Zofingen – ist derzeit eine obligatorische kombinierte Vergabe der Leistungsaufträge für die Leistungsgruppen BP (Basispaket) und GEB1 (Grundversorgung Geburtshilfe) aus folgenden Gründen (noch) nicht notwendig:

–    Aus den Gemeinden im Bezirk Kulm gelangt man unter normalen Bedingungen in 20–30 Minuten in die Geburtenabteilungen des Spitals in Sursee (LUKS Sursee), des KSA, der Hirslandenklinik Aarau oder in die derzeit noch existierende Geburtenabteilung des Spitals Muri (das Spital Menziken im Bezirk Kulm verfügt aktuell nicht über den Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe GEB1).

–    Aus den Gemeinden in den Bezirken Aarau und Zofingen gelangt man unter normalen Bedingungen in 5–30 Minuten in die Geburtenabteilungen des KSA, der Hirslandenklinik Aarau, des Kantonsspitals Olten oder des Spitals Langenthal (das Spital Zofingen verfügt aktuell nicht über den Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe GEB1).

–    Aus den Gemeinden in den Bezirken Laufenburg und Rheinfelden gelangt man unter normalen Bedingungen in 5–30 Minuten in die Geburtenabteilungen des Gesundheitszentrums Fricktal am Standort in Rheinfelden, des Spitals Leuggern, des KSA, der Hirslandenklinik Aarau, des Bethesda Spitals in Basel oder des Kantonsspitals Baselland in Liestal (das Gesundheitszentrum Fricktal am Standort in Laufenburg verfügt aktuell nicht über den Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe GEB1).

–    Aus den Gemeinden in den Bezirken Baden, Brugg, Lenzburg, und Zurzach gelangt man unter normalen Bedingungen in 5–30 Minuten in die Geburtenabteilungen des KSB, des Spitals Leuggern, des Spitals Bülach, des Spitals Limmattal in Schlieren oder in die derzeit noch existierende Geburtenabteilung des Spitals Muri. Jedoch wird es nach der Schliessung der Geburtenabteilung des Spitals Muri zu Stosszeiten fast unmöglich sein, aus den Gemeinden Ammerswil, Boniswil, Dintikon, Egliswil, Fahrwangen, Hallwil, Meisterschwanden und Seengen in 30 Minuten in eines der anderen genannten Spitäler zu gelangen.[6]

Es sei aber jetzt schon gewarnt: Sollten sich dereinst das Spital Leuggern oder das Gesundheitszentrum Fricktal am Standort in Rheinfelden – wie aktuell das Spital Muri – dazu entschliessen, ihre Geburtenabteilungen wegen mangelnder Rentabilität zu schliessen, so wäre die Versorgungssicherheit mit Geburtshilfe unter medizinisch gesicherten Bedingungen (in einem Akutspital) in etlichen Gemeinden im Fricktal und im Bezirk Zurzach nicht mehr gewährleistet.[7]

Abschliessend noch folgende Klarstellung: Sollte die mit der vorliegenden Motion verlangte neue Verpflichtung der Vergabe des Leistungsauftrags für die Leistungsgruppe BP (Basispaket) in Kombination mit dem Leistungsauftrag für die Leistungsgruppe GEB1 (Grundversorgung Geburtshilfe) bei den betroffenen Spitälern zu wirtschaftlichen Verlusten führen, müssten diese durch den Kanton unter dem Titel «Abgeltung der Grundversorgung und der gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL)» ausgeglichen werden. Diesbezüglich wird auf die noch hängige Motion vom 4. März 2025 betreffend «gerechte Abgeltung der Grundversorgung und der gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL) der Akutspitäler zur Sicherung deren Existenz» verwiesen (GR.25.71).

[1] Spitallosten – Kanton Aargau

[2] Spitalliste 2025 Akutsomatik des Kantons Aargau, Anhang 4: Anforderungen und Erläuterungen Spitalplanungsleistungsgruppen Akutsomatik AG 2023.1, Seite 7.

[3] Beispiele zu Stosszeiten (an Werktagen zwischen 06:00 bis 09:30 und 16:00 bis 19:00 Uhr): Das Kantonsspital Baden ist von Wohlen oder Villmergen aus nicht unter 35 Minuten erreichbar, das Kantonsspital Aarau nicht unter 40 Minuten. Das Stadtspital Zürich Triemli, das Limmattal Spital, das Kantonsspital Baden und das Zuger Kantonsspital sind von Bremgarten, Jonen, Oberlunkhofen, Unterlunkhofen oder Zufikon aus nicht unter 35 Miutnen erreichbar. Das Kantonsspital Luzern ist von Muri, Besenbüren, Bünzen oder Waltenschwil aus nicht unter 45 Minuten erreichbar, das Zuger Kantonsspital nicht unter 35 Minuten. Das Kantonsspital Luzern und das Zuger Kantonsspital sind von Aristau, Auw, Beinwil im Freiamt, Benzenschwil, Bettwil, Geltwil, Kallern oder Rottenschwil aus nicht unter 35 Minuten erreichbar. Alle zuvor genannten Spitäler sind von Büttikon, Sarmenstorf oder Uezwil aus nicht unter 40 Minuten erreichbar.

[4] § 41 Absatz 1 und 2 KV (Titel: «5. Gesundheitswesen») lauten wie folgt:

«1 Der Kanton trifft im Zusammenwirken mit den Gemeinden und Privaten Vorkehren zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit.

2 Er schafft Voraussetzungen für eine angemessene medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung. Er fördert die häusliche Krankenpflege.»

[5] In den betroffenen Gemeinden im Freiamt (siehe Fussnote 3) wohnen insgesamt mehr als 80’000 Personen. Das sind über 10 % der Gesamtbevölkerung des Kantons Aargau.

[6] In den betroffenen Gemeinden im Bezirk Lenzburg wohnen insgesamt mehr als 18’000 Personen.

[7] Beispiele zu Stosszeiten (an Werktagen zwischen 06:00 bis 09:30 und 16:00 bis 19:00 Uhr): Bei einer Schliessung der Geburtenabteilung des Spitals Leuggern wäre das KSA, das KSB, die Hirslandenklinik Aarau, das Gesundheitszentrums Fricktal am Standort in Rheinfelden, das Universitätspital Basel, das Bethesda Spital in Basel, das Kantonsspital Baselland in Liestal oder das Spital Bülach von Bad-Zurzach, Full-Reuenthal, Klingnau, Koblenz, Leibstadt und Leuggern aus oder von Eiken, Gansingen, Kaisten, Laufenburg, Mettauertal, Münchwilen und Schwaderloch aus nicht unter 40 Minuten erreichbar. Bei allen Berechnungen müssen das in Deutschland gelegene Klinikum Hochrhein in Waldshut-Tiengen und die in Deutschland gelegenen Kliniken des Landkreises Lörrach in Lörrach unberücksichtigt bleiben, zumal in der Grundversicherung keine freie Spitalwahl über die Landesgrenzen hinaus möglich ist.

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