1. Augustrede Andreas Meier in Laufenburg
1. August 2024
Erhalten habe ich die Einladung kurz nach der Gründungsveranstaltung des Vereins Pro Winterthur – Basel, ProWiBa, hier in der Stadthalle. Sie ahnen es, welches Thema diese 1.-August-Rede bestimmen wird. Richtig. Mobilität und Eisenbahn.
Was am 1. August denn gefeiert werde, fragte der Kabarettist Simon Enzler bei rund 30 Kindern. Antworten waren: „Wir feiern den 1. August – weil der Vater bräteln tut.“ oder die Gegenfrage: „Wann sollen wir denn sonst unsere Raketen ablassen?“
Nebst Kindern kann man auch ChatGPT fragen. Ich habe diese künstliche Intelligenz konkret gefragt, in welchem Akt von Schillers Willhelm Tell es viel Reiseverkehr gibt? Die KI-Antwort: Im zweiten Akt gebe es viele Reisebewegungen. In der zweiten Szene trifft Stauffacher auf dem Weg nach Altdorf auf Wilhelm Tell. Stauffacher reist, um sich mit anderen Verschwörern zu treffen und in der dritten Szene reisen die Verschwörer zum Rütli, um sich zu versammeln – zwecks dem Rütlischwur.
Die künstliche Intelligenz endet mit der Bemerkung, «diese Szenen verdeutlichen die Mobilität und die notwendigen Reisen der Charaktere, um ihre Freiheitsbewegung zu koordinieren.»
Diese Antwort finde ich gelungen – wo Menschen reisen und mobil sind, passiert etwas und es bedeutet Freiheit, vorausgesetzt Uri steckt nicht im Gotthard-Stau.
Man kann ChatGPT noch mehr fragen, wenn man die Antwort nicht scheut. Ich scheute mich nicht und so fragte ich nach dem Modalsplit der Anreise auf das Rütli bei den drei Eidgenossen. Mit Modalsplit meint man die Verteilung der Verkehrsmittel, also den Anteil verschiedener Verkehrsmittel, wie Auto, Fahrrad, Fuß, öffentlicher Verkehr.
Die künstliche Intelligenz vermutet: Werner Stauffacher von Schwyz reiste mit dem Schiff über den Vierwaldstättersee. Walter Fürst aus Uri kam zu Fuss, vielleicht weil die Ausfahrt in Göschenen gesperrt war und Arnold von Melchtal ritt mit einem Pferd oder Esel aus Unterwalden an. Das ergibt einen Modalsplit mit – 1 x Wasserverkehr und 2 x langsamer Landverkehr.
Unser Nationalfeiertag gibt uns einmal im Jahr die Gelegenheit so richtig am „Stägegländer“ der Schweizer-Geschichte auf und ab zu erzählen. Festrednerinnen und Redner würdigen die Bundesverfassung von 1848 und die Totalrevision von 1874, weil sie jetzt 150jährig ist. Und das würde sich auch lohnen!
Erst seither verfügen wir über so umfassende direktdemokratische Rechte wie in keinem anderen Land. Unsere Volksrechte verlangen Verantwortung für soziale Gerechtigkeit und Unterstützung der Bedürftigen, zu Menschenrechten und humanitärem Engagement, zu Umweltschutz und Nachhaltigkeit, für Sicherheit und sie verlangt dies auch für die nächsten Generationen in Bildung und Wissenschaft und vorwärts gerichtete Infrastruktur.
Indem wir mit unserer direkten Demokratie eine Ethik pflegen «gänd mer eusem Land Sorg» und würdigen damit die Leistungen unserer Vorfahren.
Die Geschichte hat hier in Laufenburg eine zusätzliche Dimension. Für die Bürgerinnen und Bürger von Laufenburg kam mit der Bundesverfassung etwas Normalität zurück, zu einer verlässlichen Staatsordnung, wie sie bereits unter der Krone von Maria Theresia und Joseph II galt, noch vor der französischen Revolution.
Während die Ur-Kantone den Vierwaldstädtersee als Verkehrsweg nutzten und dabei etwas isoliert und unter sich blieben, war hier der Rhein eine offene Reise- und Transportachse. Mit dem Rhein war Laufenburg weltweit vernetzt, bis zum Meer, wie die Salmen, also Lachse. Die Bedeutung des Transports auf dem Rhein wurde hier gut dokumentiert, wegen den Umladungen um den Laufen hatte Laufenburg eine systematische Verkehrszählung. Es gab dichten Verkehr, tausende von Ladungen, speziell auch viele Flosse.
Die Französische Revolution hat alles durcheinandergebracht. Der Rhein, der bis dahin Mitte und Lebensachse war, wurde zur Landesgrenze. Der sehr grosse Warenverkehr auf dem Rhein wurde auf die Strassen und später auf die Schienen verlegt.
Zur Zeit unserer ersten Bundesverfassung, 1848, hatten unsere Nachbarstaaten Deutschland und Frankreich bereits tausende von Schienenkilometern, die Schweiz lediglich die 23 Kilometer lange «Spanischbrötli-Bahn» von Baden nach Zürich. Eine der ersten vier Lokomotiven trug aber bereits den Namen Rhein.
Der Rückstand im Schienenbau ist verständlich, schon wegen der Topographie, hinzu kamen konfessionelle Streitigkeiten, kantonale Zollhoheiten, unterschiedliche Masseinheiten und Währungen. Es wurde befürchtet, dass die Schweiz mit ausländischen Lebensmitteln und Produkten überschwemmt werde oder in eine Abhängigkeit für Kohle geraten könnte. Und sowieso, die Eisenbahn fahre zu schnell, das könne gesundheitsschädigend zu sein.
1860 umfasste das Schweizer Schienennetz 650 Kilometer, sieben Jahre später bereits 1300 Kilometer. Das benötigte enorme Kapital für den Ausbau des Schienennetzes stammte mehrheitlich von französischen Finanzinstituten. Vor der Gründung der Schweizerischen Kreditanstalt, der sog. Dampfmaschine des Kredits, hatte die Schweiz noch keine Banken, die solche hohen Kredite hätten vergeben können. Viele französische Begriffe wurden daher aus Frankreich übernommen. Man wartet am Perron, um in ein Wagonrestaurant einzusteigen, und zeigt schliesslich sein Billett oder Abonnement dem Kondukteur.
Ab 1853 verfolgte die Schweizerische Nordostbahn (NOB) das Projekt einer durchgehenden linksufrigen, also schweizseitigen Rheintalbahn von Basel bis nach Romanshorn. Ihr Bau hatte zahlreiche Herausforderungen. Die Überquerung der Aare, kurz vor ihrer Einmündung in den Rhein bei Koblenz, galt als schwierig.
Ist Ihnen diese spezielle Brücke mit ihrem gestalterischen Charme schon aufgefallen? Der 236 Meter lange Stahlbau besteht aus fünf in einer Kurve angeordneten Eisen-Fachwerkträgern.
Erst 1892, nach Fertigstellung dieser Brücke, konnte das letzte 29 km lange Teilstück zwischen Stein und Koblenz eröffnet werden und somit die ganze Strecke, von Basel bis Winterthur.
Die Strecke östlich der Brücke, von Koblenz bis Winterthur, war schon 20 Jahre früher eröffnet worden. 1902 wurde die Strecke von der SBB übernommen, 1944 elektrifiziert und vor 30 Jahren, 1994, angeblich wegen mangelnder Nachfrage, eingestellt. Tatsächlich passte die Linie aber nicht in den neu eingeführten Taktfahrplan. Die Züge liess man bis zu 20 Minuten in den Bahnhöfen Leibstadt oder Laufenburg stehen und vergraulte so die Passagiere.
Die SBB hat trotzdem weiter in die Strecke investiert, wie jüngst in die Sanierung der erwähnten Aare-Brücke. Güterzüge durften die Brücke viele Jahre nur noch mit 30 km/h passieren. Heute, nach der Instandsetzung sind wieder 60 km/h erlaubt.
In den letzten Jahren wurden mehrere politische Vorstösse im Bundesparlament und im Grossen Rat des Kanton Aargau zur Wiedereinführung der Inter-Regio Verbindung Basel – Winterthur eingereicht. Eine Motion von Ständerätin Marianne Binder ist im Nationalrat noch hängig.
Es wird Zeit die politischen Kräfte für die Bahnverbindung zu bündeln. Wie anfangs erwähnt wurde neu ein im Handelsregister eingetragener Verein gegründet, mit dem Ziel, möglichst alle an der Strecke liegenden Kräfte, Kantone, Gemeinden, Firmen oder politischen Parteien zu bündeln. Wer sich vertieft informieren will, kann dies auf www.prowiba.ch – und wird hoffentlich auch Mitglied.
Auf der Webseite umschreibt eine Fahrplanstudie von der Firma SMA und Partner AG sehr detailliert, welche Kosten zu erwarten sind, welches Rollmaterial nötig wäre, bis hin zur Geschwindigkeit um in den beiden Endbahnhöfen, vor allem in Basel, noch vor der S1 Basel-Frick/Laufenburg einfahren zu können. Die Linie braucht einen FLIRT – aber bevor sie mir nun schöne Augen machen, damit meinen wir das nötige Rollmaterial. FLIRT ist die Abkürzung für «flinker leichter Regional-Triebzug» von Stadler Rail. Flink ist Voraussetzung, denn streckenweise müsste der Zug bis zu 160 km/h fahren können.
Wir haben gute Argumente für unser Projekt. Nebst dem Nutzen für die Passagiere entlang der Strecke sind vorab die Kosten vergleichsweise bescheiden. Die Strecke wäre eine Redundanzstrecke bei Störfällen im Bözberg oder im Limmattal. Für unser Bahnprojekt müssen wir uns auf einen Marathon vorbereiten, da dürfen wir uns nichts vormachen. Es wird nur mit einem professionellen Lobbying gelingen. Wie das geht, sehen wir im Beispiel der inzwischen realisierten Limmattalbahn.
Während wir auf der Schweizer Seite für unsere WiB- Linie kämpfen, schmerzt uns die Tatsache, dass die SBB für die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke auf Deutscher Seite über 200 Mio. Franken ausgeben will, also mehr als der Ausbau der WiBa-Strecke kosten würde. Uns links-rheinisch liegen zu lassen, tut weh.
Rund jeden achten Franken gibt der Bund für den Verkehr aus. Letztes Jahr waren es 10.6 Milliarden. Davon kostet der ÖV zwei Drittel, das heisst, 7.1 Milliarden werden in den Bahninfrastrukturfond einbezahlt. Durch die gesetzliche Verankerung dieser Ausgaben im Bahninfrastrukturfondsgesetz hat das Parlament kaum Einfluss auf diese Grössen und gilt als sogenannt stark gebundene Ausgabe.
Für das nächste Entwicklungsgesamtpaket, den STEP 2035, hat das Parlament knapp 13 Milliarden Franken bewilligt. Die sieben Hauptprojekte und diversen Ausbauten sind auf der Webseite des UVEK gut dokumentiert. Gemessen an diesen, ist unser Anliegen, die Wiedereinführung der Rheintallinie, geradezu eine Kleinigkeit.
Die Schweizer Bevölkerung wächst und ist gerne unterwegs. Rund 21 Prozent des Gesamtverkehrs decken heute die Angebote des öffentlichen Verkehrs ab. Trotz Angebotsausbau und Investitionen in die Infrastruktur stagniert der Anteil des ÖV am sogenannte Modalsplit seit 15 Jahren. Schätzungen des Bundes zeigen keine grosse Veränderung, obwohl der Gesamtverkehr bis 2050 nochmals um 11 Prozent zunehmen werde.
Eine interessante Studie wurde neulich von den Bahn- und Busnetzbetreibern, BLS, SOB und PostAuto AG vorgestellt. In ihrem Auftrag hat die «42hacks-community», mittels künstlicher Intelligenz unkonventionell Ideen entwickelt, um mehr Menschen von den Strassen auf die Schiene zu bringen. 42hacks heisst die community, weil 42 das Doppelte von 21 ist, 21% ist heute der ÖV-Anteil am Gesamtverkehr und das Doppelte, 42% ist ihr Ziel. Anders als üblich, fokussiert das Projekt auf das Mobilitätsverhalten der Nicht-ÖV-Kunden. Die KI nutzt anonymisierte Mobilfunkdaten und analysiert die Zusammenhänge zur Auto-, respektive ÖV-Nutzung bis auf Quartierebene und ist dadurch in der Lage Verkehrsströme zu einem x beliebigen Zielpunkt zu analysieren und aufzuzeigen, wo das Potenzial besonders gross ist Autofahrenden den Umstieg auf den ÖV zu erleichtern. Wir erhoffen ein solche Studie baldmöglichst auch für unsere Region.
Aber ist die Zukunft tatsächlich mehr ÖV? Experten des VW-Konzerns rechnen für 2050 mit einer CO₂-neutralen Welt, smarter Energieversorgung, vollvernetzter Mobilität und flächendeckender Verfügbarkeit von autonomem Fahren. Die Forscher arbeiten auf ein vollständig integriertes Mobilitätssystem hin, in dem alles wie am Schnürchen läuft. Es wird ein Mix aus Micromobility, Robotaxis, öffentlichem Nahverkehr und individueller Mobilität. Ampelkreuzungen werden überflüssig, Autos parken sich selbst und in vertikaler Anordnung mit geringerem Flächenverbrauch. Städte werden leiser, Parkraum wird zu Grünfläche.
Liebe Laufenburgerinnen und Laufenburger, die Zeiten ändern sich. Bei Wilhelm Tell gab es noch gelegentlichen Verkehr durch die «Hohle Gasse». Inzwischen fahren fast nahtlos Züge mit bis zu 250 km/h durch hohle Tunnels. Wenn im Gotthard-Basistunnel nicht gerade geflickt wird, hätten gar wir freie Sicht zum Mittelmeer.
Momentan gilt für Laufenburg leider noch die Lautsprecherdurchsage: „Die Abfahrt wird sich verzögern, da es momentan keinen Zug gibt.“
Nach Ankündigung des ehemaligen Generaldirektors der SBB, Benedikt Weibel, fahren die Züge in Zukunft führerlos. Dann hören Sie im neuen Zug die Durchsage: „Hier spricht ihre Lokführerin, ich begrüße Sie aus meinem Home-Office – auf der Fahrt nach Winterthur, über Rheinfelden, Laufenburg, Koblenz, Bad Zurzach. Und wäre eigentlich ganz gerne mit Ihnen auf dieser wunderschönen Strecke.»
Gute Fahrt in unser Eisenbahnland, danke für Ihr zuhören.